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Breadcrumbs: Brotkrumen im digitalen Wald

Sie sind nicht nur schön, sondern auch essbar: Tulpen. Spätestens im 16. Jahrhundert erreichten sie aus dem Orient kommend als seltene und dekorative Blumen europäische Gärten der Oberschicht. ln den 1630er Jahren waren sie Gegenstand der Tulpenmanie, einer Spekulations-Blase in den Niederlanden und dienten dort im "Hongerwinter", Ende des 2. Weltkriegs unter unerbittlicher deutscher Besatzung, als Nahrung.

Den Beweis ihrer Essbarkeit erbringt Kenny Schachter, Kritiker, Künstler und Kurator der aktuellen Schau in den Kölner Räumen der Galerie Nagel Draxler. Auf einem NFT-zertifiziertem Video sieht man ihn beim Verspeisen eines ganzen Blumenstraußes, ein verstörendes Bild in einer medial und inhaltlich hybriden Ausstellung. Schachter schafft hier gemeinsam mit den Galeristen eine Plattform, die Facetten und Möglichkeiten der NFT-basierten Kunst beleuchtet, keineswegs rein digital.

Schachter gehört zu den langjährigen Kennern der Blockchain-Kunst, die angelegentlich im Ruf steht wenig Kunst für viel Geld zu bieten. (siehe das artmagazine-Interview mit ihm) Bangen bei diesem kryptischen Thema manche um ihre Pfründe oder doch dem heiligen Gral der Kunst und ihres bewährten Systems? Immerhin finden sich unter den wenig begeisterten Alt- und Neugediente, wie David Hockney und Hito Steyerl (siehe FAZ).

Kenny Schachter stellt sich kämpferisch der besorgten Polemik und steckt mit Bedacht Tulpen in den Gewehrlauf (siehe Artnet). Mit ihm sind weitere 15 Künstler*innen und ihre Werke in drei räumlichen Einheiten der Galerie Nagel Draxler vertreten. Hervor sticht eine rot gefasste Raumzelle in der Mitte mit Textfragmenten Schachters zum heiklen Thema NFT. Allüberall an den Wänden sonst finden sich Notizen und grafische Kürzel, vom digitalen Pad malerisch transferiert, alles im Ganzen ein umfassendes, aber erratisches Feld an Gedankensprengseln.

Ölgemälde von Eva Beresin (*1955 in Budapest), ein Foto von Tracey Emin (*1963 in London) oder Acrylbilder von Koichi Sato (1974 in Tokyo) verstehen sich wohl als analoge Vorleistung für die Ästhetik rein digitaler Bildkonzeptionen einer am Gegenstand orientierten Zeichenhaftigkeit, die einer gewissen schamlosen Vernarrtheit am zutiefst Offensichtlichen verpflichtet ist: blutige Gaze von der letzten medizinischen Behandlung hier, Bartträger dort und irgendwo hängen Fledermäuse herab.

Anna Ridler (*1985 in London) oder Robness zeigen sich im Gegensatz dazu rein digital. Ridler interpretiert ebenfalls die Tulpe als Motiv in einer stochastischen Animation, während Robness in einer Art digitalem Impressionismus Bilder von Supermodels der 1990er Jahre in Slow Motion zersetzt. Beruhen die Arbeiten dieser beiden auf fotografischen Aufnahmen, so handelt es sich bei der Animation von Theo Triantafyllidis (*1988 in Athen) um Computer-generierte Bilder. Der Spiele-Designer setzt eine überkräftig-muskulöse Figur mit weiblichen Zügen in ein Kornfeld, die Besucher*innen können vor dem Bildschirm auf einem Strohballen sitzen und eine Konsole zur Steuerung der Figur bedienen. Eine überraschend wirksame Rückbindung der Vorstellung ins Reale, innerhalb der Interaktion.

Osinachi (d.i. Prince Jason Osinachi Igwe, *1991) erkundet den Körper in einem Spiel sozial konnotierter Posen und Atribute, die mit einem Sinn für Humor Erwartungen konterkarieren. In diese intim angelegte, aber formal ubiquitär formalisierte Welt entführen auch Olive Allen, Max Osiris und DotPigeon in ihren Interieurs. Die schwierige Greifbarkeit von biografischen Daten geht konform mit der Ablösung von einem leichthin verfügbaren Konzept von Autorschaft. Ein Bild wie "I don't deserve Wall Street Journal" deutet hierbei eine anarchistische Romantik an, die weder Schuld noch Unschuld im kapitalistischen Gefüge eines in Zeichen verklausuliertem Systems zu kennen vermag. Die Skimaske wird allein und zu Hause getragen, darunter das Meer, darüber die Sterne – die Verbindung schafft, im Sinne von James Graham Ballard, eine zerschmetterte Fensterscheibe.

Neben den digitalen Werken schaffen Ausstellungskopien die Verbindung in den Galerieraum, die wie im Falle von Kevin Abosch (*1969 in Los Angeles) im Format von 1,50 mal 1,50 Metern auch 150.000 USD kosten können. Es sind rätselhafte Farb- und Zahlenkombinationen, deren Bedeutung kaum zu ergründen ist.

Erschließt die Ausstellung nun Crypto-Art? Oder ist es die Zertifizierung in Kryptowährung und der gegenwärtige Marktwert, der Aufmerksamkeit schafft. Ein im Kunstmarkt absolut legitimer Indikator, vor dem die individuelle Prüfung standhalten darf. Und im Falle dieser Ausstellung verschwindet die Galerie nicht, auch nicht der Kurator im Interface zwischen Kunst und Betrachter. Allein, es spiegelt sich ein spezifischer Diskurs ins Geschehen, so im absurden Dialog zwischen Kenny Schachter und Max Osiris, ein Ausdruck vom Smartphone auf den letzten Metern zur Ausstellung. Und überhaupt: René Magritte. Oder Rhea Myers: Folgen sie den Brotkrumen im Wald.


Anm: d. Red. Als „Breadcrumbs“ bezeichnet man in der NFT-Kunstwelt die öffentlich einsehbare Abfolge der Käufe und Verkäufe von digitalen Kunstwerken in der Blockchain.

Mehr Texte von Thomas W. Kuhn

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Breadcrumbs
12.05 - 21.08.2021

Galerie Nagel Draxler
50667 Köln, Elisenstraße 4-6
Tel: +49-221-2570591, Fax: +49-221-2570592
Email: koeln@nagel-draxler.de
http://nagel-draxler.de
Öffnungszeiten: Di - Fr 14-18 h


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