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Jimmie Durham - 1948: Was empor kommt

Der amerikanisch-indianische Künstler Jimmie Durham zeigt unter dem Titel „1948“ in der Galerie Christine König eine breite Palette von Motiven und Methoden seiner visuellen Arbeit. 1940 in Houston, Texas geboren, war er lange Zeit alles andere als ein bildender Künstler. Er engagierte sich als Cherokee in dem American Indian Movement in den 1970er und 80er Jahren und war später Vertreter der Indigenen der USA bei den Vereinten Nationen. Der heute in Berlin und Rom lebende Künstler absolvierte seine künstlerische Ausbildung von 1968 bis 1973 an der École des Beaux Arts in Genf. Vertraut mit der politischen Arbeit und ausgestattet mit einem Blick, der an Materialien seiner Kindheit geschult ist, entwickelte Durham von den 70er Jahren an ein kontinuierliches bildnerisches Werk.

In mehreren Gesprächen mit dem Künstler klingt die Bedeutung von Steinen und Holz an. Auch hier bei Christine König sind in einem Raum Skulpturen aus dem Jahr 2007 zu sehen. Diese wie versteinert wirkenden Bronzen sind lose über den Galerieboden verstreut und ahmen Äste nach, die Durham im Grunewald zusammensuchte. Die Arbeit beruht auf einem Erlebnis Durhams in Berlin, als er bei der Anmietung einer Wohnung mit deren Nazivergangenheit konfrontiert wurde. Mit dem Biegen von Astwerk und dem „Abguss der Äste“ bannte Durham den negativen Spiritus loci der neuen Wohnung.

Durham ist seit vielen Jahrzehnten fasziniert von der Haptik von Holz und dessen Eigenschaften. So war er versteinerten Holzstämmen künstlerisch auf der Spur, was er unter anderem in der Ausstellung „Rocks Encouraged“ von 2010 im Frankfurter Portikus zeigte. Dabei präsentierte er versteinerte Holzstämme und Schriftliches umgeben von schwarzem Tuch.

Durhams Werk lässt sich durchaus als skulptural verstehen. Er fügt der Welt Objekte und Texte hinzu. Eine besonders gelungene Serie – „1948“ – ist bei Christine König zu sehen. Dabei handelt es sich um Collagen die als Ink Jet Prints nochmals auf Papier gedruckt wurden und die aus Füllmaterial zwischen Wänden entstanden sind. Durham hat beim Beziehen einer Wohnung zwischen den Wänden Zeitungsreste aus dem Jahr 1948 gefunden. Er hat diese geglättet und thematisch mit Filzstift kommentiert. Neben der Berlin Blockade in Europa, 1948, trägt der Künstler auch Informationen zur „nakba 1948“ zusammen.[1] Es sind in die Fläche gedruckte sozio-politische Diagramme die Durham hier schafft.

Zuletzt sei noch auf seine zeichnerischen und malerischen Selbstporträts aus der Zeit von 2007 bis 2009 verwiesen, die ebenfalls bei Christine König zu sehen sind. Meist Kohle auf Papier ist das Gesicht teilweise mit vertikalen Strichen und Kringeln überzeichnet. Durham, der Selbstporträts als egozentrisch bezeichnet, stellt sich hier dennoch einer kritischen Befragung seiner selbst. Sein nomadisches und schamanisches Leben zwischen den Kontinenten, seine indianischen Wurzeln und die amerikanisch-europäischen Zuschreibungen an die Minderheit kommen hier zu tragen. Nicht umsonst denkt man beim Besuch dieser Ausstellung an Sigmund Freuds Aufsätze „Totem und Tabu“ von 1913, die sich mit magischem Verhalten und Prozeduren indigener Völker beschäftigen. Zweifelsohne ist dies auch ein kolonialer Blick, der dennoch versucht, allgemein gültige Aussagen über Objektbeziehungen zu treffen.
Ein Besuch der Ausstellung nach dem aktuellen Lockdown ist jedenfalls empfehlenswert.

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[1] „nakba“ ist die arabische Bezeichnung für „Katastrophe“ und meint die Vertreibung von rund einer Million Palästinenser aus dem Mandatsgebiet Palästina während des israelischen Unabhängigkeitskriegs 1948.

Mehr Texte von Susanne Rohringer

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Jimmie Durham - 1948
26.03 - 22.05.2021

Christine König Galerie
1040 Wien, Schleifmühlgasse 1a
Tel: +43-1-585 74 74, Fax: +43-1-585 74 74-24
Email: office@christinekoeniggalerie.at
http://www.christinekoeniggalerie.at
Öffnungszeiten: Di-Fr: 12-18h
Sa 12-16h


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