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Europa: Antike Zukunft: Wild Horses On Both Sides

Das Analoge und das Digitale werden eins-zu-eins gesetzt, fragt, wer „wir“ sind, waren und sein werden oder/und sein können, und installiert damit eine der Zeit entsprechende Zugänglichkeit für das Publikum. Durch die Aufhebung von Schranken in Form von online zur Verfügung gestellten Audioguides wie auch einem generellen und konsequent freien Eintritt wird für die Kunst als Arbeit, als Anstrengung eingetreten. Mehr Wert verspricht mehr Aufmerksamkeit.

Mit „Europa: Antike Zukunft“ richtet die neu eröffnete Halle für Kunst Steiermark ihren und unseren Blick zurück, nach vorne und hin zu Gegenwärtigem. Die Neuausrichtung des ehemaligen Künstlerhauses versteht sich als anhaltender und transformatorischer Vorgang, der sich in der Inaugurationsausstellung den Projektionen, Vorstellungen und Ideen eines (gemeinsamen) Europas widmet, und damit Stagnation und Hemmungen im Vorwärts zu überwinden sucht. Die vonseiten des Landes Steiermark entschieden unterstützte Unternehmung ist ambitioniert und zutiefst politisch, denn im Erinnern an die Idee der Aufklärung, die sich als noch nicht abgeschlossen versteht, ist das Ausstellungsprojekt künstlerischer Rück-, Ein- und Ausblick.

Dabei arbeitet sich jeder einzelne Beitrag an einem Verbindenden und/oder Trennenden innerhalb eines (unseres) Kulturraums ab. Kaum fassbar und gleichzeitig unverzichtbar scheinen ein Nachdenken und Neuverhandeln. Abseits der Dualismen, einer primären wirtschaftlichen Orientierung und angesichts einer reichhaltigen Ideengeschichte gehe es um Alternativen, wie es vonseiten Sandro Droschls, dem neuen und alten Leiter der Kunstinstitution, heißt. Peripherie und Zentrum seien als Kategorien nicht mehr haltbar, die Vergangenheit und deren Ideen dienlich für Projektionen in die (eine/unsere) Zukunft, um im Heute handlungsfähig(er) zu werden. Er schlägt einen Rückbezug auf Aristoteles und den Ursprung unserer Sprache(n) vor, erinnert an die ursprüngliche Definition von Gemeinschaft und betont die Notwendigkeit einer Balance zwischen Subjekt und Gesellschaft, um Probleme zu lösen. Er schlägt vor, die Überhöhung des Individuums zugunsten der Vielen neu zu denken. Es wird u.a. auf Giorgio Agamben verwiesen, der sich in seiner Theorie ebenso auf diese vermeintlichen Gegensätze konzentriert, die Aktualität alter Gedankengebilde wieder aufgegriffen. Eine „Rückbesinnung“ ist als Thema in der gesamten Ausstellung vorherrschend.

Im Obergeschoss wird „politische Gleichheit“ propagiert, um einen Ausgleich zwischen Individuen, Gruppen, Gemeinschaften und nationalen Strukturen zu schaffen. Dabei wirkt der Begriff Freiheit mitunter störend und behindernd. Ein absoluter Fortschrittsgedanke wird in Spiegelbildern, als die die Arbeiten sich verstehen, nachvollziehbar. Dabei soll sich die, auch architektonische, Weiterentwicklung des ehemaligen Künstlerhauses nicht bloß in einem Etikettentausch erschöpfen, sondern sich auch in einer programmatischen Neuverortung des Hauses manifestieren. Dazu wurden Fahnen von Renée Green hochgezogen: Cesare Pavese, Alberto Giacometti, Italo Calvino, Giordano Bruno etc. gemahnen als Teil der an der Decke befestigten „Space Poems #4“ (2013) an die Infragestellung eines Repräsentationscharakters. Daneben bzw. darunter zeigt u.a. Oliver Laric Arbeiten zum Thema Originalität und Kopie, die er in archäologischen Museen abgenommen und mittels 3D-Druck und aktueller Reproduktionstechniken neu interpretiert hat. „Sleeping Boy“ (2021) als ein Symbol für Jugend und deren Erwachen und „Reclining Pan“(2021) als Gott des Waldes und der Hirten wie auch Symbol für das Dionysische, das Wilde, weisen, als Figuren aus der griechischen Mythologie, auf einen Aufbruch hin. Dem „gegenüber“ befindet sich die 4-teilige Werkserie von James Welling, der mithife des Mediums der Fotografie das Analoge und das Digitale in den Blick nimmt. Auch sein Ausgangspunkt sind archäologische Sammlungen, doch ist er auch an Originalschauplätzen tätig. Indem er die Farbe neu in das Motiv implementiert, sich dieses aneignet und ins (Diskurs)Feld führt, aktualisiert er alte Bildmotive.

Mit Shahryar Nashats „Mother on Wheels (Nero Marquina 1 + 2, 2016), einer 2-teiligen Skulpturengruppe, bestehend aus je zwei steinernen Elementen, die auf einem Schwerlastwagen (pink) aufsitzen, werden Vorlage und Erbe, Beweglichkeit und Interpretationsfähigkeit thematisiert und vom Übergang des Postmodernen hin zum Performativen erzählt. Der Künstler verweist auf die Frage der Weiblichkeit, die seit der Antike strittig ist. Videoarbeiten erweitern die Arbeiten ins Digitale. Die Filmarbeit „Chapters“ (2013) von Haris Epaminoda führt hingegen in 25 Episoden durch die (Ideen)Geschichte Zyperns. Rituell, prozessual und etappenhaft führt die Künstlerin über die Insel und verhandelt anhand ihrer Vergangenheit eine mögliche Zukunft, während sich im Untergeschoss die „Ruinen von Europa“ abbilden, bei Franz Kapfer im Besonderen mit antiken Symbolen, heute instrumentalisiert von rechtsradikalen Gruppierungen. Diese zeugen von der aggressiven (intellektuellen) Rechten, die Antonio Gramsci für ihre Zwecke umgedeutet haben, und einen Rückgriff auf alte Symbolsprachen zelebrieren. Auf rostigen Ketten hängen 40 Schilde, die entsprechende Signets zeigen. Die eindringlich inszenierten Schatten verweisen auf oben genannte Strukturen, mit denen wir uns konfrontiert sehen, und die den Rahmen einer rechten europäischen Destruktionsidee bilden. Essayhaft auf Heiner Müller referenziert Ira Goryainova in ihrer Dokufiktion durch ein Europa der vielen Orte und verkörpert als Hauptprotagonistin einen aktiven politischen Kampf. Sie nimmt dabei antike Frauenfiguren auf und theatralisiert sie im öffentlichen Raum.

Einen weiteren wichtigen Aspekt der neuen Programmatik des Hauses verantwortet Cathrin Mayer. Sie plant die regionale Szene zu stärken und die Halle für Kunst Steiermark dabei (weiterhin) deutlich international zu positionieren. Die Ortlosigkeit (in) der Kunst ist ihrem neuen Selbstverständnis dienlich. Was folgt ist ein Performance-Format, das zwischen den Ausstellungen vor Ort und um den Ort herum realisiert wird. Die „Pantha Residency“ gestaltet sich unter dem Titel „Give Rise To …“ in Form eines 1-monatigen Aufenthalts mit anschließender Präsentation. Bereits fixiert wurden „Give Rise To Armin Lorenz Gerold“, „Give Rise To Colin Shelf“ und „Give Rise To Billy J. Bultheel“. Eine Ausstellung von Kevin Jerome Everson, dessen Arbeiten sich mit der zeitgenössischen Blackness befassen, ist ebenfalls in Planung, wie auch eine von Doreen Garner, die ebenfalls den schwarzen Körper ins Zentrum setzt. Dazu ist auch ein Begleitprogramm zur Auseinandersetzung mit der Schwarzen Community in Graz in Vorbereitung. Ein Open Call mit Bezug zur Ausstellung „Domestic Drama“ am Ende des Jahres adressiert weiters regionale Künstler*innen und läuft noch bis zum 31. Mai.

 

„Dear Viewer, Please make your way in, Parade is about to begin.“ (Zitat aus der Videoarbeit von Shahryar Nashat, Parade, 2014)

Der Titel referenziert auf das Soundkonzept im Film „Chapters“ (2013) von Haris Epaminoda.

Mehr Texte von Bettina Landl

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Europa: Antike Zukunft
22.04 - 15.08.2021

Halle für Kunst Steiermark
8010 Graz, Burgring 2
Tel: +43 316 740084
Email: info@halle-fuer-kunst.at
https://halle-fuer-kunst.at/
Öffnungszeiten: Di-So 11-18 h


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