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Life Constantly Escapes: Poesie der vernetzten Beziehungen

Auf die heutige Notwendigkeit und Aufforderung zur Umwertung von vorherrschenden Werten und Kategorien liefert die Ausstellung Life Constantly Escapes im Kunstraum NOE keine falschen oder einfachen Antworten. Andrea Popelka, die Gastkuratorin aus Berlin, kompensiert schräge Defizite der modernen postdemokratischen Gesellschaft in ihrem Projekt durch „das Spiel der Sinne“, indem der Weg des positiven/affirmativen Handelns wie auch Taktiken des direkten Widerstands gegen Gewalt (wenn man diejenigen angreift, die er/sie [die Gewalt] begehen, wird das Stereotyp verinnerlicht) durch das wiederholte Aufrufen der unlearning Praktiken ersetzt wird. Diese wurden auf den Grundlagen von Aktivitäten und Diskursen entwickelt, die in feministischen, dekolonialen oder ökologischen Bewegungen, und hier insbesondere in der Black Feminist und Black Radical Tradition (zB. Fred Moten) verwurzelt sind. Diese Herkunft gibt ihnen einen poetischen und sinnlich-planetarischen "Chic" und das erwähnte Verlernen entpuppt sich als ein Stadium kultureller Arbeit, durch die gängige (westliche) Kategorien von Mensch/Natur, Subjekt/Objekt und Mann/Frau wahrnehmbar entwertet werden.


An der detailliert inszenierten Präsentation, die einen verblüffenden Eindruck einer Ausstellung in lebhafter Pose der bröckelnden Auflösung vermittelt, in der jede Ecke der Präsentationsfläche gleichwertig empfindsam behandelt wird, beteiligen sich neben bildenden Künstler*innen auch zahlreiche Autor*innen, Poet*innen, Forscher*innen sowie eine Harfinistin und Sängerin. Zu sehen sind sowohl kollektive als auch individuelle Positionen mit viel Farb-Licht- und Schattenspielen. Sound und Klangkompositionen hallen in Intervallen durch den Raum, Poesie erklimmt die Frontwand und Texte sind als Notizbuchzettel auf Sockeln ausgelegt. Poster zur Ausstellung können gratis mitgenommen werden.

Andrea Popelka sieht das Individuelle nicht als Solitär, sondern eher als eine in einem übergeordneten Netzwerk verstrickte „schöne Nachbarschaft“.  In der gesamten Ausstellung – hier scherzhaft, da provokativ auf aktuelle Angelegenheiten reagierend – manifestiert sich nirgendwo ein (statisches) Subjekt. Dies zeigt sich, indem einzelne Werke sich mit anderen mehrheitlich überlagern und unter dem Einfluss des Lichteinfalls miteinander verweben oder im Schatten/Licht der Anderen auftreten. Einige Künstler*innen sind mit ihren Arbeiten an diversen Stellen mehrfach bzw. in der Nachbarschaft anderer Künstler*innen zu sehen, so dass sie über den ganzen Ausstellungsraum fluktuieren und sich den Umständen nach stets verändern. Zu solchen instabilen und möglicherweise beunruhigenden Agenden der Show zählen die, Erinnerungen an Sklaverei evozierenden, Skulpturen aus Harz, Gelee, Spiegel und Seife von Bri Williams oder die durchlässigen Farbfotografien und Videobilder von James Goodwin. Die letzteren widmen sich dem Phänomen geheimnisvoll in der Natur aufblitzenden Lichts und reflektieren somit so etwas wie die Vanitas-Idee. Dem Vergänglichkeits-Gedanken folgen auch die in mehreren musealen Vitrinen bis zu ihrem Verfall „gefangen“ gehaltenen farbenprächtigen Blumensträuße – zugleich Metaphern des „Prekariats von Körpern“, die ununterbrochen unter dem Druck der öffentlichen Aufmerksamkeit stehen. Die Arbeit welche die nationalstaatlichen Kulturinstitutionen wie Museen samt ihrer Musealisierungsgewalt heftig kritisiert, stammt von Jesse Darling, Teilnehmerin in der Ausstellung May You Live in Interesting Times an der letzten Biennale di Venezia. Ebenso kreuz und quer durch den Raum verstreut, einzeln oder zur Masse verdichtet, stößt man auf Darlings auf den Boden abgestürzte, handgemachte Alu Papierflieger – die hier eine Funktion des lustvollen Nervenkitzels erfüllen: Halb Spielzeug, halb (kulturelle) Geister, ohne die die bisherige konsumorientierte globale Jet Set Kunstwelt rasch zu kippen droht. Und falls dies passieren dürfte, dann werden andere Zeiten und andere Räume entstehen oder ihr nachfolgen. Davon handeln die Comic Strips von Grant Jonathon, die die jüngsten Proteste wie zB. Black Lives Matter behandeln und die als solche meist Veränderung generieren. Halb lebendig, halb tot, diese Ausstellung im Kopf behaltend, warten wir also die zukünftigen unvorhersehbaren Entwicklungen ab.

Mehr Texte von Goschka Gawlik

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Life Constantly Escapes
26.02 - 03.04.2021

Kunstraum Niederoesterreich
1010 Wien, Herrengasse 13
Tel: +43 1 90 42 111, Fax: +43 1 90 42 112
Email: office@kunstraum.net
http://www.kunstraum.net/de
Öffnungszeiten: Di-Fr 11-19, Sa 11-15 h


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