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Barbara Hammer - Women I love: Vom Aussehen des Seins

„In diesen schrecklichen Zeiten in denen Lügen unverhohlen als Wahrheiten ausgerufen werden, in denen Angst uns dazu bringt, uns voneinander zurückzuziehen, in denen Unterschiede als Fremdenfeindlichkeit verleumdet werden und in denen Gräueltaten im Namen des Spektakels begangen werden, müssen wir einen stillen Weg des Mitgefühls und der Sympathie und der Großzügigkeit durch Empathie finden und praktizieren.“

Dieses eindringliche Vermächtnis sprach die amerikanische Künstlerin und Aktivistin Barbara Hammer um das Jahr 2018, angesichts der Trump Administration und vor dem Hintergrund ihrer eigenen Erfahrungen der 2010-er Jahre aus. Als lesbische Künstlerin warf sie damit einen Blick auf ihre Zeitgenoss:innen, nachdem sie ein Leben lang für die Freiheit der gleichgeschlechtlichen Lebensform gekämpft hatte.

Am Franz Josefskai 3 ist nun eine umfassende Retrospektive der 1939 geborenen und 2019 verstorbenen Pionieren der queeren Kunst zu sehen. Kuratorin Fiona Liewehr präsentiert mit einer Fülle von Filmmaterialien die einzelnen Abschnitte des Lebens und Werks der Künstlerin. Der Besuch der fulminanten Ausstellung benötigt viel Zeit, um die filmischen Arbeiten der Künstlerin aufnehmen zu können.

Barbara Hammer, aufgewachsen in Kalifornien, wo sie Psychologie und englische Literatur studierte, lebte Anfang der 1960er Jahre durchaus entlang des Mainstream den American Dream. 1961 heiratete sie, baute mit ihrem Mann ein Haus in den Wäldern und fuhr mit ihm auf dem Motorrad quer durch Amerika. Ende der 60er Jahre verließ sie ihren Mann, mit Motorrad und Kamera in der Hand - für eine Frau. Sie begann die gleichgeschlechtliche Selbsterfahrung in allen Varianten zu leben und sie filmisch einzufangen. Gegen Ende der 60er Jahre war Kalifornien ein Biotop zum Ausprobieren diverser Lebenskonzepte. In diese Zeit fällt auch der Aufstieg von Harvey Milk als schwuler Politiker in San Francisco.

Hammer versuchte in einem ihrer ersten Filme „Dyketactics, 1974“ der weiblichen Haut mit der Kamera möglichst nahe zu kommen. Es entsteht der Eindruck, als würde der Betrachter die Haut berühren. Die in kurzen Schnitten folgenden unterschiedlichen Perspektiven der Kamera prägen den Film maßgeblich. Hammer lag am Boden, drehte sich, tanzte um die Protagonisten herum. So entstand diese vibrierende, intensive Filmlandschaft.

Die Künstlerin verwendete zur Unterstreichung ihrer Aussage immer wieder Filter, in „Dyketactics“ löst sich der Film in Rottöne auf, Überblendungen, später collagiert sie auch Filme wie „History Lessons“ von 1990. In „Sanctus“ von 1990 verwendet Sie Röntgenaufnahmen in Bewegung.

So sehr das Thema der Selbstermächtigung weiblicher Lebensformen in den 1970er und 1980er Jahren im Vordergrund stand, begann Hammer in den 1990er Jahren über die nachfolgende Generation nachzudenken und stellte fest, dass es keine „Role Models“ für lesbische Lebensentwürfe gab. Im Interview meinte sie, dass es in den 1970 Jahren keine (universitäre) Frau gab, die eine Leitfigur hätte sein können. In den 90ern, als die Frage von Identität auch nationaler Identität – siehe Kosovo Krieg 1999 - eine Rolle spielte, trug die Künstlerin in „History Lessons“ von 1990 identitätsstiftendende Merkmale in Form von Abbildungen zusammen.

Über „War, Conflict and Resistance“ arbeitete sie im Zuge des Kosovo Konflikts, als sie in Cassis, Frankreich ein Stipendium inne hatte. Sie wollte in den Kosovo reisen um vor Ort zu helfen, doch die verantwortlichen Stellen in Cassis bestanden auf ihre Anwesenheit. Hammer begann sich mit dem Briefwechsel zwischen Bonnard und Matisse aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs zu beschäftigen. Beide Künstler widmeten sich nur malerischen Fragen, während Teile ihrer Familien im Widerstand gegen die Nationalsozialisten tätig waren. Die Ergebnisse verarbeitet sie in „Resisting Paradise“, 2003.

Zuletzt sei auf Hammers filmische Auseinandersetzung mit dem Tod verwiesen. Selbst in den 2000er Jahren an Eierstockkrebs erkrankt, verarbeitet sie den Schock der Diagnose in dem sehr poetischen Film „A Horse is not a Methaphor“ 2008 und in ihrem letzten performativen Vortrag „The Art of Dying“ im Whitney Museum in New York 2018. Der Verlust der körperlichen Stärke, die daraus resultierende Arbeitsschwäche, das Altern, der Sex im Alter, all das verhandelte Barbara Hammer in ihrem Ouevre und nicht nur in ihrem letzten Lebensjahr.

Die Arbeiten von Barbara Hammer waren u.a. im Jeu de Paume in Paris, in Museum of Modern Art in New York und in der Tate Modern in London zu sehen. Das Archiv ihrer Arbeiten ist weitgehend digitalisiert und ihr Nachlass ist eine Inspirationsquelle für junge Künstlerinnen. In Formensprache, Identität und Enttabuisierung lesbischer Kunst war Barbara Hammer zweifelsohne eine Pionierin.

Mehr Texte von Susanne Rohringer

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Barbara Hammer - Women I love
05.03 - 16.05.2021

FJK3 – Raum für zeitgenössische Kunst
1010 Wien, Franz Josefs Kai 3
Email: office@franzjosefskai3.com
http://www.franzjosefskai3.com
Öffnungszeiten: Mi-So 12-18, Fr 12-20 h


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