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Demokratie heute – Probleme der Repräsentation: Quo Vadis, democratia?

Am unmittelbarsten lässt sich die Fusion der schweizerischen und der syrischen Flagge entziffern. Das weiße Kreuz auf rotem Hintergrund ist noch deutlich zu erkennen und auch die beiden grünen Sterne sowie die Farbkombination aus rot, weiß und schwarz lassen sich schnell zuordnen. Schwieriger wird es bei der Kombination der französischen und der kongolesischen Flagge sowie bei der griechischen und burundischen Flagge.

Nein, das ist kein Bild für die von rechter Seite hysterisch angemahnte feindliche Übernahme des Abendlandes durch „das Fremde“. Der französische Künstler Pierre Bismuth kombiniert in seinen Arbeiten „Abstractions (Congo/France)“, „Abstractions (Burundi/Greece)“ und „Abstractions (Switzerland/Syria)“ (alle 2019) die Symbolsysteme zweier Flaggen – jeweils ein Herkunfts- und ein anvisiertes europäisches Gastland von Flüchtlingen – und stellt somit deren vermeintlich klar definierte Repräsentationsleistungen infrage. Die „Abstractions“ verweisen auf die Tatsache, das Nationalstaaten auf einem Prinzip von Inklusion und Exklusion beruhen, anhand dessen festgelegt wird, wer innerhalb der Staatsgrenzen am Leben teilhaben darf und wer nicht. Schlagwörter wie „Leitkultur“ und „Multikulti“ kommen in den Sinn und werden durch die Hybrid-Flaggen infrage gestellt und kritisiert.

Bismuths Arbeiten sind im Kindl – Zentrum für zeitgenössische Kunst über dem Eingang zum Maschinenhaus M1 installiert. Man befindet sich also schon vor Betreten der Ausstellung „Demokratie heute – Probleme der Repräsentation“ mitten in der Thematik.

Ausgangspunkt der Schau ist die gegenwärtige Krise vieler real-existierender Demokratien. Und diese hat die Gestalt einer Hydra, denn die Liste der Bedrohungen ist lang, das macht die begleitende Zeitung deutlich. Hier kommen zahlreiche Autor*innen zu Wort und beschreiben die aus ihrer Sicht größten Gefahren, die derzeit für unsere Demokratien bestehen. So sieht beispielsweise Bettina Steinbrügge, Direktorin des Hamburger Kunstvereins, den gewandelten Freiheitsbegriff als einen wesentlichen, destabilisierenden Faktor. Sie schreibt: „Menschen gelangen zur Überzeugung, dass die Demokratie ihren eigenen Interessen im Wege steht und daher aufgelöst gehört. Der gesellschaftliche Konsens, dass es für die Demokratie zu kämpfen gilt, wurde aufgekündigt.“ Die Kunsthistorikerin und Kuratorin Karen van den Berg hebt die gefährliche Tatsache hervor, dass „immer mehr Gemeingüter in die Hände großer Tech-Konzerne gegeben“ werden und der Soziologe Harald Welzer kritisiert, „dass die politische Kultur aufgibt, das Wohlergehen eines Gemeinwesens im Auge zu haben, zu dem alle gehören, und Klientelpolitik zum ausschließlichen politischen Interesse wird“.

Die Texte vertiefen und ergänzen die in der Ausstellung gezeigten künstlerischen Positionen und deren Sichtweisen auf die gegenwärtige Verfassung der Demokratie. So thematisiert Julia Lazarus Video-Arbeit „Die Befragung der Bundesregierung“ (2021) die Gefahr, die von dem erstarkenden Rechtspopulismus ausgeht. Das Video ist eine Assemblage aus unterschiedlichen Bundestagsdebatten aus über einem Jahr und veranschaulicht, wie sich die Diskussionskultur im Deutschen Bundestag seit dem Einzug der AfD im Jahr 2018 verändert hat.

Besonders eindrücklich ist die Installation kleinformatiger Bilder im ersten Raum der Ausstellung. Es sind die Werke geflüchteter Menschen, die im Hope Project auf der Insel Lesbos im Lager Moria entstanden. Sie zeigen vollbesetzte Schlauchboote auf blauem Wasser, Insellandschaften und Kinder, die sich an ihre Mütter schmiegen. Auf einem Bild zerteilt ein Maschinengewehr einen Arm, an dessen Hand bereits fast alle Finger abgeschnitten wurden.

Das Hope Project wurde von einer auf Lesbos lebenden britischen Familie ins Leben gerufen und ist mittlerweile eine NGO, die dem Leid der in Moria lebenden Menschen zu begegnen versucht: Täglich werden etwa 30 Familien mit dem Notwendigsten versorgt, außerdem gibt es seit 2018 ein Kunstzentrum, in dem die Menschen ihrem grausamen Alltag zumindest zeitweise entfliehen können. Mit der Fürsorge für die hilfesuchenden Menschen übernimmt die NGO grundlegende Pflichten, die von den Nationalstaaten ignoriert werden. Das Projekt verdeutlicht das eingangs erwähnte Prinzip von Inklusion und Exklusion, auf dem nicht nur einzelne Staaten sondern eben auch die Europäische Union basieren: Die Menschenrechte gelten in erster Linie für die europäischen Bürger*innen, den Menschen in den Flüchtlingslagern an Europas Außengrenzen werden sie weitestgehend verwehrt. Die EU wird ihrem eigenen Anspruch nicht gerecht.

Die Ausstellung beschränkt sich allerdings nicht auf die Darlegung der Probleme und Gefahren, denen sich gegenwärtige Demokratien gegenübersehen. Arbeiten wie jene von Jonas Staal und Oliver Ressler dokumentieren auch positive Entwicklungen. So gibt Resslers Video „Occupy, Resist, Produce – Scop Ti (2018, mit Dario Azzellini) Einblicke in besetzte Fabriken in Europa, in denen es den Arbeiter*innen gelang, die Arbeit unter eigene Kontrolle zu bringen, mit dem Ziel Produktionsmittel neu zu verteilen: Anstelle von althergebrachten Hierarchien wurden hier horizontale Arbeitsbeziehungen sowie direktdemokratische, kollektive Formen der Entscheidungsfindung implementiert.

Um alternative Formen der Teilhabe und Mitgestaltung geht es auch in Jonas Staals Installation „New World Summit – Rojava“ (2015-2018). Gemeinsam mit der selbstverwalteten Region Rojava in Nordsyrien entwickelte Staal ein Parlament, das auf den Rojava-Prinzipien basiert: Rojava versteht sich als eine ‚staatenlose Demokratie‘, die die Idee des Nationalstaats als koloniales Erbe ablehnt und stattdessen auf lokale Selbstregierung, Geschlechtergerechtigkeit und kommunale Ökonomie setzt. Die Installation zeigt Fotografien, ein Video und ein Modell des Parlamentgebäudes in der syrischen Stadt Dêrik, das von lokalen Gruppierungen für politische Versammlungen und kulturelle Veranstaltungen genutzt wird. An diesem Ort konkretisiert sich das revolutionäre Modell der Region Rojava, das auch für andere Regionen und Länder ein Vorbild sein könnte.

„Demokratie heute – Probleme der Repräsentation“ versammelt unterschiedlichste Positionen und schafft so einen vielschichten Blick auf die brisante Thematik.

Der Autor einer in der taz erschienen Rezension gibt zu bedenken, dass die Ausstellung wohl kaum über das „eher linksliberalalternative und kunstaffine Publikum“ hinaus Beachtung finden wird und die Debatte somit auf einen „winzigen Ausschnitt der Gesellschaft beschränkt“ bleibt. Das mag sein, gleichzeitig kann das kein Argument gegen eine solches Projekt sein. Die Ausstellung „Demokratie heute – Probleme der Repräsentation“ kann als ein Instrument der Zeitdiagnose betrachtet werden: Sie beschreibt, was ist – im Schlechten wie im Guten. Sie liefert Hintergrundinformationen und gibt Denkanstöße. Und wer bemängelt, dass die Ausstellung nur in einem relativ kleinen Kreis beachtet wird, der (und alle anderen auch) sei dazu eingeladen, das Hope Project auf Lesbos zu unterstützen, sich für die Rechte Geflüchteter in Deutschland einzusetzen oder einer entsprechenden Partei beizutreten. Irgendwo muss es ja beginnen.

Mehr Texte von Ferial Nadja Karrasch

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Demokratie heute – Probleme der Repräsentation
28.03 - 25.07.2021

KINDL – Zentrum für zeitgenössische Kunst
12053 Berlin, Am Sudhaus 3
Email: info@kindl-berlin.de
http://www.kindl-berlin.de/
Öffnungszeiten: Mi-So 12-18 h


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