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Raupenimmersattism: Das nimmersatte Kapital

SAVVY Contemporary ist umgezogen, das gerade für politisch engagierte Kunst im Kontext von Postkolonialismus bekannte künstlerisch-diskursive „Labor“ residiert jetzt in Räumen einer ehemaligen Spielothek am Nettelbeckplatz im Berliner Stadtteil Wedding. Mit der Eröffnungsausstellung „Raupenimmersattism“ thematisiert das kuratorische Team des Hauses die (a)sozialen Folgen des neoliberalen Kapitalismus, der gnadenlos auf permanenten Wachstum inklusive ausuferndem Konsum setzt.

Die Installation „Killing Us Softly“, 2018, von Krishan Rajapakshe begrüßt die Besucher der Ausstellung: Eine „weibliche“ Schaufensterpuppe steht da, bekleidet mit einem Kleid, auf dem der Titel der Arbeit in nicht enden wollender Aneinanderreihung zu lesen ist. Hinter dieser systemkritischen Figur sind Fotos von in Kombodscha demonstrierenden Frauen zu sehen. Sie wehren sich gegen die Niedriglöhne, die sie für die, außerdem gesundheitsgefährdende, Arbeit in den Textilfabriken des Landes bezahlt bekommen. Die Mode, die dort für den reichen Westen produziert wird, „tötet“ diese Frauen langsam aber sicher, den Käufern auch in Deutschland aber scheint es mehr oder weniger egal zu sein.

Gleich nebenan warten drei Hörkabinen von Phil Collins Arbeit „My Heart‘s In My Hand ….“ 2013. Dort kann man auf Schallplatten Gespräche mit Obdachlosen hören, zudem extra komponierte Musikstücke von Musikern wie z. B. Scritti Politi und Julia Hummer, die auf diesen Gesprächen basieren. Während man diesen sensiblen Mixed von Pop und, wenn man so will, sozialen Realismus zuhört, kann man durch die Fensterfront des neuen Ausstellungsraumes schauen – direkt auf den Nettelbeckplatz, einem Berliner Treffpunkt u. a. für „Obdachlose“ und Roma.

Über der Treppe zum Kellergeschoss des Raumes hängt die Installation „Papel Soberana!, 2018-2020, von Daniela Medina Poch & Juan Pablo Garcia Sossa. Dieses aus Geldscheinen aus Venezuela zusammengefügte Zeltdach gibt den Geldscheinen einen neuen Sinn. Statt lediglich als Zahlungsmittel vor allem dem Interesse von Vermögenden zu dienen - was in Venezuela zudem kaum noch funktioniert, da dort eine Inflationsrate von 12,0000% den Ton angibt -, dient es hier als fast schon natürlich anmutendem Dach und Sonnenschutz wieder tatsächlich den Interessen der Menschen.

Im Kellergeschoss dann werden vor allem Videoarbeiten gezeigt, z. B. die Filmserie „Leitmotiv, Fonte, 193, Cruzado, Confronto, and Automóvel“, 2005- 2012, von Cinthia Marcelle. „Automóvel“ zeigt eine zweispurige Autostraße und seinen nicht enden wollenden Verkehr. Die Menschen in den Wagen erscheinen da beinahe als Gefangene ihrer ach so nützlichen Mobilität, ihr stetes Fahren, scheinbar ohne Ziel, offenbart die Macht des Autos und erinnert an die längst unkontrollierbare Dynamik eines Kapitalismus, der seinen absurden Zweck nur noch in seiner eigenen inhumanen Logik hat.

Auch wenn nicht jeder der hier gezeigten Arbeiten wirklich in das Konzept der Ausstellung zu passen scheint, etwa Yasmin Bassirs „Werk ohne Ende“, ab 2016, das aus der endlosen Produktion von sich ähnelnden amorphen Tonformen besteht, die die Abwesenheit des Kerns symbolisieren sollen, ist „Raupenimmersattism“ eine wichtige Präsentation und eine gelungene Eröffnung des neuen SAVVY-Raumes.

Mehr Texte von Raimar Stange

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Raupenimmersattism
26.09 - 22.11.2020

Savvy Contemporary
13347 Berlin, Reinickendorfer Straße 17
http://www.savvy-contemporary.com/


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