Link in Bio. Kunst nach den sozialen Medien: Feier mich, Baby.
Eine junge Besucherin in weiten und zu kurzen Hosen, die eigentlich Niemanden gut kleiden, aber gerade wahnsinnig in sind (früher Hochwasserhosen, heute Culottes) mit neongrünen Socken steht vor einem Kunstwerk von Thomas Webb, das ihr Gesicht scannt und in Smileys verwandelt. Je nachdem, ob man lacht oder traurig schaut, übersetzt das Programm die Emotionen in das passende Smiley-Pendant. Sie und ihre Begleiterinnen sind betont ungeschminkt, die in der Gruppe stehenden Männer wirken androgyn, einer hat lackierte Nägel, der andere trägt eine lässige „Es-ist-egal-ob-es-Winter-oder-Sommer-ist-Mütze“ auf dem Kopf.
Warum ist es wichtig, im Kontext der Ausstellung diese Äußerlichkeiten zu beschreiben? Weil sich daran eine selbstgewählte Gruppenzugehörigkeit ablesen lässt, die für die Ausstellung und ihre Themen zentral ist. Selten war es so offenkundig und symbolisch, wer hier in und wer out ist, wie bei dieser Ausstellung. Das drückt sich in der bewusst auf Statussymbole verzichtenden Kleidung der Peer Group aus und spiegelt sich im Titel wider. „Link in Bio“ ist zwar ein sehr schöner Titel, doch begreifen einige (meist ältere) BesucherInnen gar nicht, was damit überhaupt gemeint ist. Auf der Social-Media-Plattform Instagram können unter den Beiträgen keine Links gesetzt werden. Dies ist nur an einer Stelle möglich, nämlich in der sogenannten Biografie des Accounts. So hat sich in Beiträgen der Satz „Link in Bio“ durchgesetzt, um andere NutzerInnen von Instagram auf einen weiterführenden, externen Link aufmerksam zu machen.
In einer anderen Ecke der Ausstellung steht eine etwas andere Vierergruppe von BesucherInnen zusammen, alle etwas älter, im Kontext der Ausstellung heißt das: über 30. Sie tragen Anzüge und Kleider, überwiegend in Schwarz, sind geschminkt, tragen Schmuck, typisch etablierte KunstweltprotagonistInnen eben. Ein kurzes Gespräch zeigt: Sie alle arbeiten seit Jahren mit Kunst, als Galeristin, Kuratorin, Sammler und Kritiker. Und trotzdem fühlen sie sich hier wie jemand, der zum ersten Mal auf eine Skulptur von Jeff Koons trifft und geschockt ist von dem Kitsch; Menschen, die entgegen der sonst sicher geglaubten Zugehörigkeit zur Kunstwelt hier außen vor sind – weil sie die Ausstellung einfach nicht verstehen. Ja, sie haben alle einen Instagram Account. Wer hat das nicht heutzutage. Obwohl ihre Galerie gut läuft, erzählt die Galeristin, hat der offizielle Instagram-Account nur knapp 400 Follower. Warum die Künstlerin Arvida Byström hingegen mehr als 228.000 Follower hat, das versteht sie irgendwie nicht. Und auch nicht, was die Bilder an der Wand von Byström sollen, die extrem pink, extrem kitschig und ein bisschen pornös anmuten. „Ist das wirklich Kunst?“, fragen sie sich, und versuchen gemeinsam zu begreifen, worum es in dieser Ausstellung überhaupt geht.
Anika Meier hat über 50 Fotografien, Skulpturen, Videos und Gemälde von KünstlerInnen zusammengetragen, die in den sozialen Medien aktiv sind und von dort ihre Inspirationen und Inhalte beziehen. Damit knüpft sie kuratorisch an internationale Ausstellungen der letzten Jahre an, die den Einfluss der Digitalisierung auf Kunst und Gesellschaft thematisiert haben, nicht zuletzt an die ebenfalls von Meier kuratierte und vor zwei Jahren im MdBK gezeigte Schau „Virtual Normality. Netzkünstlerinnen 2.0“. Während es 2018 um die Möglichkeiten und Einschränkungen der sozialen Medien ging, stehen in der jetzigen Ausstellung Aspekte der Produktion und Rezeption von Kunst im Zeitalter der sozialen Medien im Vordergrund.
Es gibt Arbeiten, die als Performances auf Instagram stattfinden und die in der Ausstellung ihre physische Präsenz durch ausgestellte Objekte erhalten, die in der Performance verwendet wurden. So tritt die amerikanische Künstlerin Leah Schrager unter anderem unter dem Pseudonym Ona auf Instagram auf. In ihren Performances erforscht Schrager Themen der Sexualität, ihrer medialen Repräsentation und Verbreitung. In der Performance „An American Dream“ beschäftigt sie sich mit Machstrukturen und hinterfragt, wie sich Frauen auf Instagram inszenieren.
Chris Drange nutzt für seine Gemälde Selfies von extrem erfolgreichen Instagrammerinnen wie Kim Kardashian oder Loren Gray als Ausganspunkt. Millionen von Followern liken, kommentieren und regrammen diese Bilder. Drange lässt sie in China als Ölgemälde nachmalen. Damit spielt er mit Fragen der Autorschaft und des Originalbegriffs genauso wie mit dem Personenkult der Influencerinnen. Seine Gemälde postet er wiederum auf Instagram und generiert so auch gleich neuen „Content“ – und das ist wichtig, dafür wird er von seinen Followern „gefeiert“. Wer keinen Inhalt auf Instagram produziert, wird schnell vergessen. Das führt zu extremem Leistungsdruck, wie Andy Kassier mit seiner Insta-Langzeitperformance „Success is just a Smile Away“ eindrücklich zeigt, die er in der Ausstellung in eine Installation und Performance überführt. Druck, mit dem viele KünstlerInnen noch lernen müssen umzugehen, ohne einen Burnout zu erleiden. Kassier thematisiert den Wandel des künstlerischen Alltags, der sich für viele KünstlerInnen von der kontemplativen Ateliersituation hin zu einem öffentlichen Dauerabliefern gewandelt hat.
Für einige KünstlerInnen ist „Link in Bio“ ihre erste Museumsausstellung und sie verkünden das ganz stolz und danken, wie soll es anders sein, ihren SammlerInnen namentlich auf Instagram für die Leihgabe ihrer Werke. Der offene Umgang mit diesen und weiteren sonst im Kunstbusiness meist streng geheim gehaltenen Informationen ist auch bei anderen in der Ausstellung vertretenen KünstlerInnen auffällig. Er gehört zu den Demokratisierungsversuchen, die mit der Netzkunst der 90er Jahre begonnen haben und von der hier vetretenen „Post Digital Pop“-Generation (der Begriff wurde vom ebenfalls in der Ausstellung vertretenen Künstler Oli Epp geprägt) weiter vorangetrieben wird.
Link in Bio ist ein Schaufenster der Generation Instagram. Diese oft klugen und wirklich den Puls der Zeit reflektierenden Arbeiten werden ohne besondere Vermittlung von weniger netzaffinen BesucherInnen, wie eingangs beschrieben, einfach nicht verstanden. Sie versuchen, die ausgestellten Werke mit denselben Kriterien zu reflektieren wie Kunst aus dem 19. Jahrhundert. Das geht schief. Denn wer verstehen will, was ein gelber Panda von Jonas Lund mit Blockchain-Technologie und Kryptowährung und damit mit unserer Gesellschaft und ihren Veränderungen zu tun hat, der muss sich trotz Wandtexten vom Ausstellungsraum ins Internet bewegen – und wieder zurück. Ein Weg, der leider nicht so demokratisch ist, wie er gerne wäre. Der Katalog zur Ausstellung mit Texten von Tilman Baumgärtel, Bogomir Doringer, Constant Dullaart, Anna Ehrenstein, Ilona Hartmann, Anika Meier, Marisa Olson, Angelika Schoder, Natasha Stagg und Kathrin Weßling hilft, diese Lücke zu schließen.
17.12.2019 - 15.03.2020
Museum der bildenden Künste Leipzig
04109 Leipzig, Katharinenstr. 10
Tel: +49 (0)341 - 216 99 0, Fax: +49 (0)341 - 216 99 999
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