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Zwischen Sport- und Kinderwagen

Wenn die Porsches auf den raren Parkflächen der Baumwollspinnerei in Leipzig Rudel bilden, ist Galerierundgang. An einem kalten klaren Januarsamstagnachmittag scheint die halbe Stadt auf den Beinen, um die ersten Ausstellungen des Jahres zu begutachten.

Gewohnt schräg ist der Laden für Nichts, der aktuell Detlef heißt. Zu sehen gibt es auf den ersten Blick nichts außer ein paar Tischen und Sitzbänken - und einer Bar, an der Caffè und Pizza verkauft werden. An einer Pinnwand können Besucher Anzeigen aufkleben, wie im Supermarkt, nur dass hier kaum jemand etwas anbietet. Die meisten Anzeigen suchen etwas - andere Menschen für die Gründung eines Lachkreises, Otter oder schlicht Gedanken. Einen Kommunikationsraum wolle er hier anbieten, erklärt Galerist Uwe-Karsten Günther. Die Form habe er bewusst offen gehalten, er wolle sehen, was sich in den nächsten zwei Monaten entwickelt. Bei genauem Hinsehen gibt es dann aber doch Kunst. An einer Wand hängen in größerer Höhe unappetitlich eingefärbte Fotografien von Würstchengläsern. Hinter der Bar breitet Rigo Schmidt Leonardos Abendmahl in eigenwilliger Interpretation auf Würstchen-Pappen aus; Petrus ist ein Bismarckhering, Johannes ein Broiler, Jesus selbst ein Butterbrot. Jedes Bildchen kostet 330 Euro, das Ensemble wird jedoch nur komplett abgegeben.

Schräg gegenüber bei she BAM! ist der Name Programm. Den winzigen Raum der erst vor etwas über einem Jahr gegründeten Galerie füllen Wandarbeiten der Guerilla Girls mit Zitaten von Männern über Frauen. Sehr poppig und sehr in your face. Trump-Aussprüche dürfen natürlich nicht fehlen, doch auch Picasso sprach Mysoginisch fließend: "Es gibt nur zwei Arten von Frauen - Göttinnen und Fußabtreter." Im Untergeschoss der Halle 14 des Spinnerei-Areals zeigt die selbe Galerie im großen Rahmen Malereien von Theresa Möller, denen die Leipziger DNA schon von weitem anzusehen ist.

Prägend für die Leipziger Kunstszene nach der Neuen Leipziger Schule ist Oliver Kossack, dessen oft textbasierte und deutlich konzeptueller aufgestellte Formensprache eher nach Los Angeles verweist. Jochen Hempel richtet ihm die erste Einzelausstellung nach fünf Jahren aus, und es ist eine Freude zu sehen, dass Kunst auch Spaß machen kann.

Mit einem Augenzwinkern serviert Jochen Mühlenbrink seine formal an Tromp-l'oeil orientierten Arbeiten bei ASPN - seien es vermeintliche Klebeband-Bilder oder Fotos durch beschlagene Scheiben mit Fingerzeichnungen, die beide pure Malerei sind. Eindeutigkeiten sind auch nicht die Sache von Stef Heidhues, die bei Eigen + Art Fragmente von Scheinarchitekturen und Pseudo-Mobiliar baut. Sympathisch ist hier nicht zuletzt die Preisgestaltung - kleine Collagen sind für 1.000 Euro zu haben, eine größere skulpturale Wandarbeit kostet 8.000 Euro. Mit kunsthistorischen Referenzen wie der eigenen Virtuosität im Einsatz künstlerischer Techniken spielt Adrian Buschmann in seiner ersten Ausstellung bei Tobias Naehring.

Was den Spinnereirundgang von vergleichbaren Veranstaltungen abhebt, sind die entspannte Atmosphäre und die spürbare Verankerung der Kunstszene in breiteren Bevölkerungskreisen. Das Publikum ist bunt gemischt, die Kinderwagendichte hoch. Auch wenn die Außenwirkung Sachsens aktuell eher von anderen Faktoren bestimmt ist, existiert hier tatsächlich eine bürgerliche Kultur, die das Kunstsammeln durchaus zu ihren Tugenden zählt. Daher funktioniert eine Veranstaltung wie diese auch auf regionaler Ebene mit einem Einzugsbereich bis nach Thüringen und sogar Berlin.

Links zu den einzelnen Galerien unter: -->spinnereigalerien.de

Mehr Texte von Stefan Kobel

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