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Differenziert dechiffriert

Das hat jeder schon erlebt: Ein Autor beginnt sein Buch mit sehr allgemeinen Überlegungen und arbeitet sich nur ganz langsam zu spezielleren Fragen vor. Der Leser fühlt sich wie im Wägelchen einer Hochschaubahn, das viel zu langsam zum ersten Hochpunkt hinauf gezogen wird. Man möchte am liebsten aussteigen und anschieben! So ergeht es zunächst dem Konsumenten von Peter Burkes neuem Werk über Bilder als historische Quellen. Aber dann kommt die Sache in Fahrt und die restlichen 150 Seiten lesen sich fast, als käme Miss Marple darin vor. Das Thema ist aber auch äußerst spannend. Bilder können so vieles berichten. Burke geht davon aus, dass Bilder wie Texte und mündliche Zeugnisse eine wichtige Form historischen Quellenmaterials darstellen, liefert allerdings, wie er nach vollendeter Arbeit selbst rekapituliert, keinen "praktischen Ratgeber zum Dechiffrieren von Bildern". Sein Text handelt fast mehr davon, wie Bilder nicht zu lesen sind. In Anbetracht der Debatte zwischen den Positivisten, die Bilder immer als Zeugnisse gesehen haben wollen, und den Skeptikern versucht Burke differenziert vorzugehen. Er wählt die goldene Mitte und betrachtet Bilder nicht als zuverlässig oder unzuverlässig, sondern interessiert sich für die Art und den Grad der Zuverlässigkeit und die Zusammenhänge, in denen Zuverlässigkeit besteht. So kommt Burke zu dem Schluss, dass weniger das einzelne Werk als über Jahrhunderte beobachtete Gruppen zum selben Thema aufschlussreich sind. Man erfährt mehr über den Stand des religiösen Gefühls oder die Art herrscherlicher Repräsentation einer Epoche, wenn der Vergleich mit früheren und späteren Werken möglich ist. Wonach Bilder häufig befragt werden, ist ihr Quellenwert über den Zustand der materiellen Kultur. Auch hier warnt Burke vor der Gefahr einer zu wörtlichen Lesart und ermuntert den Forscher, sich auf die Informationen "zwischen den Zeilen" zu konzentrieren. Bilder lügen vielleicht, was die Ärmlichkeit oder den Reichtum eines Haushaltes im Holland des 17. Jahrhunderts betrifft, nicht aber in Bezug auf die Darstellung damals üblicher Verrichtungen. Es sind, so lehrt uns Burke, die Aussagen en passant, die heute für uns wertvoll sind. Peter Burke: Augenzeugenschaft. Bilder als historische Quellen, Deutsche Erstausgabe. Aus dem Englischen von Matthias Wolf 2003. Gebunden. 256 Seiten. Mit über 90 Abbildungen, EUR 26.50 [D] 44,60 sFr / 27,30 EUR [A] ISBN 3-8031-3610-5
Mehr Texte von Andrea Winklbauer

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