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»Wo Kunst geschehen kann« Die frühen Jahre des CalArts: Hinter den sieben Bergen, die Kunst von morgen

Es war einmal: Bambi, Cinderella, Santa Claus und ein Märchenschloss mit den Lettern ‚CalArts‘. Diese Motive versammelt Mike Kelley 1977 auf einer Leinwand und nennt seine Arbeit ‚Matriculation‘. Sein humorvoller Kommentar auf die Geschichte des California Institute of the Arts, an welchem Kelley Ende der 1970er Jahre einige Zeit verbrachte, markiert den Anfangspunkt einer Ausstellung in der Hannoveraner Kestner Gesellschaft, die sich mit den frühen Jahren dieser legendären Institution befasst.

Walt Disney schaltete bereits 1964 als der Film Mary Poppins erstmals ausgestrahlt wurde, einen Image Film für seine Vision einer Kunsthochschule, an der ein interdisziplinärer Austausch nach Vorbild des Bauhauses oder des Black Mountain College fortgeführt werden sollte. Die Eröffnung der Hochschule 1970 sollte er leider nicht mehr miterleben. Alles weitere liest sich retrospektiv wie ein Märchen. Robert Corrigan, dem Gründungspräsidenten, gelang es, KünstlerInnen von seiner innovativen Reformpädagogik zu überzeugen und sie als Lehrende und Lernende ins kalifornische Valencia zu holen. Herbert Blau unterrichtete experimentelles Theater, Ravi Shankar Afrikanische, Indonesische und Indische Musik, Victor Papanek vertrat ein politisches Designverständnis, Judy Chicago und Miriam Schapiro gründeten das FAP (Feminist Art Program) und realisierten das legendäre Womanhouse mit ihren Studierenden 1972 als Meilenstein feministischer Kunst. John Baldessari verstand sich in der Post Studio Art Class als ‚unwissender Lehrmeister‘, wie ihn Jacques Rancière nicht besser beschreiben könnte. Außerdem waren mit Emmet und Alison Knowles oder Allan Kaprow wichtige Vertreter der Fluxus Art zu gegen. Generell sollte die hierarchische Lehrer-Schüler Trennung aufgehoben werden und schon die StudienanfängerInnen als KünstlerInnen auf Augenhöhe akzeptiert werden. Die Liste der Alumni, GastdozentInnen und Assoziierten liest sich wie das Who is Who der Kunst seit den 70er Jahren und muss hier zwangsläufig unvollständig bleiben. Der Plan auch Herbert Marcuse zu holen, ließ sich leider nicht verwirklichen, gibt aber eine Ahnung dessen, was darüber hinaus noch alles hätte sein können.

Die Ausstellung in Hannover konzentriert sich wohltuend auf die Kunst der ersten 10 Jahre des CalArts und arbeitet einige interessante Perspektiven und Beziehungen anhand ausgewählter Positionen heraus, die dennoch neuralgische Punkte dieses fantastischen Möglichkeitsraums markieren. So geben die KuratorInnen Christina Végh und Philipp Kaiser im Begleittext der Ausstellung zu bedenken: „Die kunsthistorische Rezeption des CalArts fiel bislang verhältnismäßig einseitig aus. So fehlte bisher der umfängliche Blick auf die parallel existierenden Strömungen.“ Im Ausstellungsparcours werden daher die VertreterInnen der Post Studio Art konsequent mit Feministischer Kunst und Fluxus zusammengesehen. Dies ermöglicht eine Rezeption, die ihrerseits interdisziplinäre Beziehungen oder Differenzen erkennbar macht und sich nicht an die etablierten kunsthistorischen Ordnungsschemata hält. Die gezeigten künstlerischen Arbeiten, werden durch Archivmaterialien historisch kontextualisiert und durch aktuelle Zeitzeugen-Interviews erweitert. Die meisten ProtagonistInnen beschrieben die Anfangszeit als Chaos, aus dem heraus aber dennoch Netzwerke und Verbindungen entstanden, die besonders für die Jüngeren entscheiden waren. Das Private ist politisch und Kunstgeschichte wird nicht in Dynastien fortgeschrieben, sondern als plurale Praxis über Generationen, Ausrichtungen und Konventionen hinweg in Frage gestellt und somit erneuert. Der so genanten Picture Generation ermöglichte gerade dies frühe Erfolge. Ericka Beckman, Barbara Bloom Troy Brautuch, Matt Mulican, David Salle, Jack Goldstein, James Welling und viele weitere KünstlerInnen lernten sprichwörtlich ‚mit‘ und nicht nach John Baldessari und anderen ihre künstlerische Arbeit zu entwickeln. Suzanne Lacy oder Ulrike Rosenbach bekamen in Kalifornien wesentliche Impulse für ihre künstlerische Arbeit. Ein Blick in die Lehrpläne und Vorlesungsverzeichnisse des CalArts mit Kursen zu „Advanced Drug Research“, „Sex in Human Experience and Society“ sowie legendäre Pool Parties und tagelange Teach-ins geben nur eine vage Vorstellung von der Intensität der kollektiven wie persönlichen Erfahrungen – mit allen Höhen und Tiefen. Dies wirkt auch heute noch revolutionär, wo scheinbar alles Stehende und Ständische verdampft.

Die Kestner Gesellschaft präsentiert eine reichhaltige wie anregende Materialsammlung, die einige (Wieder-) Entdeckungen parat hat und wahrlich Lust darauf macht, die Kunstgeschichte mal wieder gründlich umzugraben. Ein erster Textband in Kooperation mit der FU Berlin und dem metaLAB(at) Harvard, die auch in der Ausstellung mit einer Dokumentation des Womanhouse von 1972 intervenieren, gibt dazu weiteres Rüstzeug an die Hand. Auf den Ausstellungskatalog darf man gespannt sein.

Mehr Texte von Thorsten Schneider

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»Wo Kunst geschehen kann« Die frühen Jahre des CalArts
30.08 - 10.11.2019

Kestner Gesellschaft
30159 Hannover, Goseriede 11
Tel: +49 511 70120 10
Email: kestner@kestnergesellschaft.de
https://kestnergesellschaft.de
Öffnungszeiten: Di-So 11-18, Do 10-20 h


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