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Visionäre und Voyeure

Der Typ war genauso, wie man sich seinesgleichen vorstellt. Er hatte dieses Rotgesichtig-Schwitzige, er war korpulent, klein, mit Glatze und Brille, und das unfreiwillig Zölibatäre quoll ihm aus allen Poren. Bei dieser überreichlich dargebotenen Physiognomik saß er auch noch vor jenem der vielfach bei "Sex in the City" im Project Space der Kunsthalle Wien verteilten Bildschirme, auf dem Annie Sprinkles "Herstory of Porn" gezeigt wurde. Und bei aller Weiblichkeit der Perspektive waren es doch Pornobilder, die da liefen. Der Typ jedenfalls war ohne Zweifel einer Sorte von Besuchern zuzurechnen, die nur für diese eine Schau den Weg in die Experimentierbühne am Karlsplatz gefunden hatten. "Sex in the City", so demonstrierte er unmißverständlich, hatte eine spezielle Attraktivität jenseits des Kunstbetriebs. Laura Mulveys 1975 in der Hochphase des kämpferischen Feminismus formuliertes Diktum, dass das männliche Ergötzen am weiblichen Körper im Kino davon abhänge, dass es eine narrative Abfolge gebe, ist ad absurdum geführt. So diskontinuierlich die Bilder sind, in denen Annie Sprinkle ihre Story des Porno nachschreibt, so wenig lassen sich die Typen offenbar davon abhalten, sich an ihnen zu delektieren. Die mediale Erfahrung mit Sex ist heutzutage eher vom Spätabendprogramm der Privatsender geprägt, in denen schwülstige Sofaszenen sich mit "Ruf-mich-an"-Collagen abwechseln, in einer Kakophonie von Schrift, Körperfragment und dämlichen Aufforderungen, die aber anscheinend ihren Zweck nicht verfehlt. Eine visuelle Sprache der Analyse, die gegen alles Aufgeilen arbeitet, ist durch derlei Transmissionen von vornherein verhindert. Siebzig Prozent derer, die ein Ticket lösten, so schätzte die Dame an der Kasse, seien aus dem einen, sehr einschlägigen Grund gekommen. Vielleicht unterlagen diese Besucher einem Mißverständnis, denn natürlich gab "Sex in the City" eine aufklärerische, emanzipatorische Lesart vor. Womöglich aber war das Angebot an die diversen Verklemmtheiten, es sich für ununterbietbare zwei Euro einen ganzen Tag lang in den doch zu allen Kommoditäten einladenden Fauteuils und Kanapees bequem zu machen und dabei auch noch Kennerschaft mimen zu dürfen, einfach unschlagbar. Der Project Space dümpelte bis dato ziemlich dahin, war zum Anhängsel des höchst erfolgreichen Cafés geraten. Mit "Sex in the City" hat er, stimmt die Berechnung, seine Besucherzahl verdreifacht. Dass derlei im Kalkül der Veranstalter liegt, wurde bereits am Eröffnungstag, als noch keiner wußte, wie groß die Schwellenangst für die Voyeure sein würde, gemutmaßt. Sollte es tatsächlich Kalkül gewesen sein, so ist es aufgegangen.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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