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Spot on Ingrid

Im Jahr 1967 ging der Fotograf Christian Skrein, Chronist der Wiener Szene der wilden Jahre daran die „Dünne Oberschicht“ (so der Untertitel) ins Bild zu setzen. Der Titel jener Serie „Wir nicht“ bezog sich dem Vernehmen nach auf Freddy Quinns Spiesser-Hymne „Wir“, ein übles Pamphlet gegen die „Gammler“. Da sitzen bzw. stehen sie nun adrett gekleidet und in einigen Versionen zudem benannt: der „Pichler“, der „Graf“, der „Wiener“, der „Attersee“, der „Kalb“, der „Steiger“ mitten drin, als einzige mit ihrem Vornahmen genannt eine junge, überaus schöne Frau mit dunklem landen Haar und kräftigen Augenbrauen, den Blick fest in die Kamera gerichtet: „Ingrid“.

Biografien von starken Frauen haben zur Zeit Konjunktur. Richtig so, zumal man sich ohnehin fragt, was die weibliche Hälfte der Menschheit denn so gemacht hat, als die Männer den Weltstrumpf wieder einmal umgekrempelt haben. Ingrid Wiener beispielsweise hat, als ihr Mann Oswald Wiener in den sechziger Jahren einmal mehr die Totalrevolution ausrufen wollte, schlicht einen Lachanfall bekommen, aber nicht nur. Doch hatte man nicht bereits länger den Verdacht, dass die Frau hinter dem Oberzyniker der Wiener Gruppe und Protagonisten der Aktion „Kunst und Revolution“ eine überaus Interessante Person sein muss, als Künstlerin hinter dem Webstuhl wie in der Küche.

„Ingrid Wiener – Die Kunst der Befreiung“ ist der Titel eines von Carolin Würfel verfassten Bändchens und die Autorin legt Wert darauf, dass es sich dabei um ein Portrait und nicht um eine Biografie handelt. Das ist überaus praktisch, lässt es doch zu, sich bestimmten Aspekten des beschriebenen Lebens zu widmen und andere auszuklammern, vor allen Dingen erlaubt es einem auch auf Literaturhinweise zu verzichten. „Wien 1968 ǀ Berlin 1972“ verspricht der Untertitel, 1984 mit der Übersiedelung nach Kanada endet die Beschreibung (leider). Was darüber hinaus geht, was Ingrid Wiener als Mensch ausmacht, erzählt Würfel im Plauderton, in dem sie von den Treffen mit der Künstlerin berichtet. Derlei gerät bisweilen zum Selbsterfahrungstrip der Autorin, als wolle sie uns bei einem Prozesse teilhaben lassen, was sie als 1986 Geborene über das weibliche Bewusstsein und den Erfahrungshorizont einer Frau des Jahrgangs 1942 lernen kann. Oder wie es im Buch formuliert ist, sie wolle „nachspüren, die sich Frausein damals anfühlte“.

Doch zeichnet Würfel ebenso das Bild einer unprätentiösen, zupackenden Frau, die „schon mit 14 Jahren dieser entsetzlichen Alltäglichkeit entkommen und dem Gewöhnlichen etwas entgegensetzen wollte“, die von ihrer Jugend an ihre Ziele verfolgt, bisweilen hierfür etwas unkonventionelle Mittel einsetzt. Ingrid Wiener, eine Künstlerin, die ihren Weg geht und sich dabei nie in den Vordergrund gespielt hat. Das würde man auch im eingangs erwähnten Gruppenbild sehen, wenn es denn in der Publikation abgebildet würde. Dass das Portrait der Protagonistin auf dem Titel aus dem im Text ausführlich beschriebenen Foto stammt, bleibt ebenso unerwähnt wie der Name des Fotografen in den Angaben des Umschlags. Was man ebenso vermisst, ist ein bildhaftes Beispiel von Ingrid Wieners wunderbaren Wandteppichen. Umso erstaunlicher, war es doch, wie Carolin Würfel im Prolog verrät, ein gewebter Einkaufszettel in der Berliner Galerie Barbara Wien, der als Initial für das Interesse der Autorin für die Künstlerin geweckt hatte.

Was wären all die Künstler dieser Zeit ohne ihre Gefährtinnen und andere Frauen gewesen, die sie unterstützten, vielfach für das Haushaltsbudget auf ihre eigenen Interessen und Karrieren verzichtend. Eben diese Atmosphäre bringt die Wiener in einem der schönsten Zitate des Buches ganz nüchtern wie humorvoll auf den Punkt: „Die Frauen haben gearbeitet, und die Männer waren eben Künstler.“

Carolin Würfel, Ingrid Wiener und die Kunst der Befreiung. Wien 1968 | Berlin 1972, 192 Seiten, Hanser Berlin, ISBN 978-3-446-25861-7

Mehr Texte von Daniela Gregori

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