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KP Brehmer - Korrektur der Nationalfarben: Agit Pop

Man darf annehmen, dass es ihm durchaus gefallen hätte, sein wohl bekanntestes Werk da so im Wind flattern zu sehen, in dreifacher Ausfertigung, direkt vor der Hamburger Kunsthalle. Wie ein Fanal, das von seiner – längst fälligen – Wiederentdeckung kündet. Und so, als wäre die Kunst aus dem ihr zugewiesenen Bezirk, wo sie im doppelten hegelschen Sinne aufgehoben ist, herausgetreten und hätte einen Schritt, und sei er auch noch so klein, hinein ins Leben getan: der alte, hochgemute Traum der Avantgarde! Diesen Traum von der kritischen Mobilmachung, von der gesellschaftlichen Durchschlagskraft hegte aber auch noch KP Brehmer, der, 1938 geboren, in den idealismusschwangeren 1960er Jahren künstlerisch sozialisiert wurde und mit seiner Arbeit der Welt einen Spiegel vorhalten wollte, der sie zur Kenntlichkeit verzerrt, genauer der zunehmend vom Konsum (von Waren, aber auch Bildern) geprägten bundesdeutschen Welt der Wirtschaftswunderjahre. Brehmer gilt daher auch, gemeinsam etwa mit Gerhard Richter, Sigmar Polke oder Wolf Vostell, als Vertreter des Kapitalistischen Realismus, einer Strömung, die sich die Mittel der Pop Art anverwandelte, indem sie sie kritisch zuspitzte (vielleicht hier passend der fun fact, dass mit dem Kürzel KP nicht nur Klaus Peter gefasst, sondern auch der kommunistischen Partei die Reverenz erwiesen wird). Brehmer nahm in diesem Verbund aber insofern eine Sonderrolle ein, als er so gut wie ausschließlich die kapitalistische Bilderproduktion zu seinem Thema machte, d.h. die Wirkmacht massenmedial zirkulierender Bilder hinterfragte.

Wie eben auch in geradezu prototypischer Weise an der „Korrektur der Nationalfarben, gemessen an der Vermögensverteilung“ von 1970 zu ersehen ist, bei der die allen bekannte deutsche Nationalflagge kurzerhand zu einem Balkendiagramm mutiert: Der Legende gemäß steht dabei Schwarz für den Mittelstand, Rot für „Restliche Haushalte“ und Gold für das Großkapital. Und weil die Vermögensverteilung vor knapp fünfzig Jahren halt so aussah (prinzipiell also vermutlich nicht viel anders als heute), nimmt nun Gold den Großteil der Fläche ein, während sich neben den schmalen schwarzen Streifen eine kaum noch erkennbare rote Linie zwängt.

Die „Korrektur“ existiert in verschiedenen Versionen, als Installation mit einer Flagge (wie in der Hamburger Kunsthalle, wo sie natürlich nicht nur vor der Tür, sondern auch in den Ausstellungssälen ihren Auftritt hat), als farbige Zeichnung auf Millimeterpapier oder als Druck in unterschiedlichen Formaten (unter anderem 1970 als Beilage in der Zeitschrift „Capital“, wo just im selben Jahr das erste Mal auch der Kunstkompass zu kreiseln begann, der ja seinerseits – über die Bedeutungszuschreibung – das kulturelle Kapital auf dem Kunstmarkt bemisst, das sich auch in ökonomisches Kapital ummünzen lässt). Und in der aktuellen Ausstellung findet sich auch noch ein Film, in dem Brehmer Passanten Fähnchen in Schwarz, Rot oder Gold anbietet, deren Wahl dann in eine Statistik einfließt, die schließlich über die variable Zusammenstellung der Nationalfarben entscheidet.

Anhand der „Korrektur“ lässt sich damit eindringlich belegen, dass Brehmer, der eigentlich gelernter Reproduktionstechniker war, am Mythos des originalen Kunstwerks auf keinen Fall mehr festhalten wollte; das zeigt sich einerseits in all den Varianten dieser Arbeit, die alleine schon den Werkcharakter, d.h. die Einheit des originalen Werks, ungemein hintertreiben; das wird andererseits aber gerade dadurch nahegelegt, dass Brehmer auch hier wieder auf eine bereits existierende Vorlage, in diesem Fall die Nationalflagge, zurückgriff. Er huldigt also nicht dem traditionellen Prinzip der creatio ex nihilo, fügt der Welt nicht, aus sich selbst schöpfend, etwas absolut Neues hinzu, wie von alters her vom Künstler erwartet, sondern entnimmt dieser Welt etwas, um dessen manipulativen Charakter zu erweisen. Man könnte mithin sagen: Er stellt nicht her, sondern er stellt richtig. Und das zeigt sich schon in seinen Anfängen, als er etwa mit seiner sogenannten Trivialgrafik, das sind Collagen und Aufsteller, den Sexismus der Werbeästhetik entlarvt oder mit seiner Serie der Briefmarken die nachgerade propagandistische Funktion dieser nationalstaatlichen Wertzeichen herauspräpariert. Als Brehmer aber erkennen muss, dass die Massenauflagen, die jene frühen Arbeiten begleiten, keine Abnehmer finden, nimmt er daraufhin die Medien ins Visier, die er für die Verblendung des Publikums verantwortlich macht. Zu diesem Zwecke verschreibt er sich ab 1970 dann einer diagrammatischen Praxis, um den wissenschaftlichen Anspruch des Informationsjournalismus zu entzaubern; dazu wird dann entweder die Willkürlichkeit der dortigen Wirklichkeitswiedergabe betont oder demonstriert, dass vermeintlich empirisch-objektive Darstellungsformen wie Schautafeln oder Informationsgraphiken die idealen Medien zur Verbreitung von ideologischen Botschaften sind.

Brehmer bekämpft hier also Feuer mit Feuer, verbrennt sich dabei aber keineswegs die Finger. Denn: All das mag vielleicht etwas trocken klingen. Ist es aber nicht. Und das vorwiegend aus zwei Gründen: Erstens geht Brehmer sehr oft mit subtilem Witz an sein Werk, den Objektivitätsanspruch, den die Medien so forsch vor sich hertragen, ironisch zu brechen und damit ins Leere laufen zu lassen. Und zweitens verfügen viele seiner Arbeiten, trotz ihres eindeutig konzeptuellen Ansatzes, über eine beachtliche sinnliche Komponente, fordern demnach nicht nur den Geist, sondern nähren auch das Auge. So können wir etwa in der „Korrektur“ neben einem Diagramm auch ein abstraktes Gemälde, eine Art Farbfeldmalerei ausmachen. Diese Werke vermitteln damit zwischen den Bereichen der Wissenschaft und der Kunst, zwischen Objektivität und Subjektivität. Oder vielmehr: Indem sie beide Sprachen, den wissenschaftlichen und den künstlerischen Jargon, nicht wirklich beherrschen (und das mit Absicht!), lassen sie deren Grammatiken dahinter durchscheinen. Aufklärung pur.

Mehr Texte von Peter Kunitzky

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KP Brehmer - Korrektur der Nationalfarben
29.03 - 23.06.2019

Hamburger Kunsthalle
20095 Hamburg, Glockengießerwall
Tel: ++49 (0) 40 428 131 200, Fax: ++49 (0) 40 428 54 34 09
Email: info@hamburger-kunsthalle.de
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Öffnungszeiten: Di-So 10-18 h, Do 10-21 h


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