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Manifesta 12 – ein Nachruf

Themen wie Migration, Postkolonialismus und Klimawandel stehen auf der Agenda der Manifesta 12 in Palermo. Leider aber geht man da allzu sehr auf Nummer sicher.

Derzeit zentrale politische Themen also will die Manifesta 12 unter dem Titel „The Planetary Garden. Cultivating Coexistence“ künstlerisch reflektieren. Inhaltlich aber sind die meisten Arbeiten unpräzise und schwammig, formal zudem überaus zurückhaltend gehalten, artig einem konservativen Werkbegriff verpflichtet. Gerade deshalb wohl ist die diesjährige Manifesta 12 so beliebt wie selten, verspricht sie doch dem Anspruch von aktueller Brisanz gerecht zu werden, ohne auf eine ästhetische Sinnlichkeit zu verzichten. Und einer politisch urteilenden Eindeutigkeit, die dem Kunstfreund meist angestrengte Probleme macht, versagt sich die Manifesta 12 so über weite Strecken zudem.

Das zu erwartende Ergebnis dieser zeitgeistkonformen kuratorischen Strategie aber ist prompt eine künstlerische Qualität, die zuweilen schon bemerkenswert schlecht ist. Negativer Höhepunkt ist sicherlich die Präsentation in Palermos Botanischen Garten: Da treiben z. B. junge Männer in einem Video, wohl als „koexistierend“ gemeinten „Sex mit Pflanzen“, da muss Saatgut in einer Installation mit extra angepflanzter Vegetation zynischerweise als konkrete Metapher für Migration herhalten - seit wann verfügt Saatgut über leidensfähige Bewusstheit?! - und das Mittel der Frottage, der mehr oder weniger realistische Abdruck von Pflanzen auf Papier also, soll tatsächlich ein „kultiviertes“ Reden mit der Natur vorstellen, kommt dabei aber selbstverständlich über die Naivität von Volkshochschulkunst nicht hinaus. (Hier Künstlernamen zu nennen wäre bereits zu viel der Ehre.)

Sicher, es gibt auch bessere Kunst, etwa das Video „Whipping Zombie“, 2017, von Yuri Ancarani. Das Video zeigt einen alten Ritus aus der Karibik, einen Tanz, in dem sich die Tanzenden u. a. mit Hilfe des Auspeitschens in Trance versetzen. Mit diesem Ritus spielen die Tanzenden auf die schmachvolle Geschichte der Sklaverei an, gleichzeitig aber entpolitisieren sie diese Kolonialgeschichte mit ihrem Fokus auf ethnologisches Wissen inklusive der mystischen Momente des Zombies. Letzteres ist typisch für diese Manifesta 12: Politische Haltungen werden immer wieder durch ein gezieltes, zuweilen durchaus kluges Dranvorbeireden ersetzt.

Aber auch zwei der positiven Ausnahmen seien hier kurz erwähnt, z. B. der Beitrag von Forensic Oceonography. Deren Videoinstallation „Liquid Violence“, 2018, skandalisiert die Art und Weise wie die Flüchtlingspolitk der EU das Mittelmeer zu einem „militarisierten Grenzgebiet“ verwandelt hat, in dem tausende Flüchtlinge ertrinken. Und Erkan Özgen lässt in seinem unter die Haut gehenden Video „Purple Muslin“, 2018, kurdische Frauen aus dem Nordirak von ihrem leidvollen Flüchtlingsalltag erzählen.

Um die Flüchtlingsproblematik geht es auch in den beiden Videos „Werde Fluchthelfer.in“, 2015, des Berliner Artivisten-Kollektivs Peng!, die so engagiert wie ein wenig hausbacken dazu auffordern als Flüchtlingshelfer aktiv zu werden. Gut gemeint, aber: Peng! Ist eigentlich eine aktivistische Künstlergruppe, die politische Aktionen in das Zentrum ihrer künstlerischen Arbeit stellt. Auf der Manifesta 12 aber muss es sich damit begnügen zwei kurze Videos, also besagte werkorientierte Kunst, zu präsentieren. So wird politische Kunst domestiziert und taugt dann sogar als Fremdenverkehrswerbung.


Peng! Collective
Werde Fluchthelfer.In

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Manifesta 12
Bis 4. November 2018
Palermo
m12.manifesta.org

Mehr Texte von Raimar Stange

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