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Orte und Unorte des Glücks. Die künstlerischen Entfaltungen des Herbert Starek: Das Empire der Gegenerzählungen

Nicht selten neigen Navigierende bei der Navigation dazu, nichts von dem wahrzunehmen, was nicht direkt zielführend ist. Im Umgang mit „Schleierhafte Karten und einige andere hauptsächliche Gewagtheiten“, der aktuellen Ausstellung mit Karten des Wiener Künstlers Herbert Starek bei lotsremark Projekte in Basel, wird jedoch sehr schnell klar, dass Müßiggang die bevorzugte Methode des Künstlers ist, um den Betrachtern gehörig den Kopf zu verdrehen. Mathematische Binsenweisheiten, wie jene, dass die kürzeste Strecke zwischen zwei Punkten eine Gerade sei, werden gründlich widerlegt. Schon beim ersten flüchtigen Gehversuch zur vagen Orientierung auf den Karten Stareks begegnet man Ideen, Vorstellungen und allerhand Wunderbarem, das einem spontan manch verschmitztes Lächeln entlockt. Auch Lucius Burckhardt, der Schweizer Erfinder der Spaziergangswissenschaften, hätte sicher seine helle Freude an diesen delikaten Dehnungsübungen der Desorientierung gehabt.

In unmittelbarer Nachbarschaft tummeln sich allerhand beflügelte Worte, Konzentriertes, Kalauer, Kritisches oder Komisches zu einer komplexen Kontaktmasse an Beschreibungen. Titel wie „Erstaunlich präzise Karte des Königreichs des größten Glücks mit einem Teil des angrenzenden Landes“ (2010), „Ohio – Das virtuelle Institut“ (2012), „Die Interlakner Poesiemaschine“ (2012) oder „ Das traurige Lexikon“ (2012) sind mehr als nüchterne Beschreibungen dessen, was man sieht und versprechen nicht zu viel. Allein die Titel sind hintersinnige Konzentrate, die etwa Robert Fillious „Sublimat aus 1000 Gedichte japanisch“ in nichts nachstehen.

Als Einstiegsluken zu den wunderbaren, wie wundersamen Werken Stareks eröffnen sie poetische Passagen, imaginierte Inseln und entführen ihre Betrachter in Landschaften, die vor Wortwitz nur so strotzen. Wo es ins all zu Kitschige zu kippen droht, reißt ein derber Witz die Träumenden abrupt in ganz andere Gefilde. Traurige Tropen entlocken tiefe Seufzer. Naturwissenschaftliche Genauigkeit bei der präzisen Angabe des Maßstabes, der Topografie, der geografischen Lage oder thermodynamischer Besonderheiten verstehen sich von selbst. Schließlich steht Starek in einer langen Tradition von Kartographen, über deren sehr altes Wissen komplexer visueller Darstellung er verfügt. Für den Betrachter sind dies flirrende Wimmelbilder mit versteckten semantischen Supernovas und allerhand dialektischen Schocks. Missverständnisse sind vorprogrammiert, machen wohl aber den besonderen Reiz der Sache aus.

Eskapistisch, ekstatisch und exorbitant sind die Werke von Starek ganz bestimmt, doch sind sie dies in einer Art und Weise, die den Kosmos unserer weit verzweigten Wissenskulturen nicht zum Märchen verklären, sondern immer wieder zum Nachdenken anregen. Die Frage nach „Fake news“ stellt sich hier deshalb nicht, weil klar ist, dass diese Karten kategorische Konstrukte sind. Und da wird es philosophisch und politisch. Starek ist ein radikaler Konstruktivist: Alles Wissen dieser Welt verdankt sich Wissenschaften, die Wissen schaffen. Welch gründlichere Kritik von Metaphysik und Absolutismus könnte es geben? Er zeigt uns eine tiefe Freude an allem Peripheren, Abwegigen und Halbseidenen. Das Zentrum der Macht scheint auch nur eine Geschichte unter vielen – denn wie schon Hayden White weiß: „Auch Clio dichtet.“ Grenzen sind gemacht um überschritten und verschoben zu werden. Die Grenzen meiner Sprache bedeuten nicht die Grenzen von Stareks Welten – sie sind grenzenlos. Blinde Flecken gibt es dennoch zu genüge; den ultimativen „unmarked Space“ jedoch nicht. Seine Karten sind phantasievolle Pamphlete gegen jede Form des Phallogozentrismus und feiern Pluralität und Diversität. Sie bieten die Bausteine für ein ganzes Empire an Gegenerzählungen. Und sind damit kraftvoller Appell: Fangt an, euch immer wieder Neues und Anderes zu erzählen! Oder ganz lapidar, es ließe sich noch viel mehr anmerken zu Herbert Starek bei „lotsremark“.

Mehr Texte von Thorsten Schneider

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Orte und Unorte des Glücks. Die künstlerischen Entfaltungen des Herbert Starek
12.08 - 13.10.2018

lotsremark projekte
4057 Basel, Klybeckstraße 170
Email: info@lotsremark.net
http://www.lotsremark.net/
Öffnungszeiten: Während Art Basel täglich 18:00–20:00, sonst Sa 16-18 h und nach Vereinbarung


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