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Loredana Nemes - Gier Angst Liebe. Fotografien 2008–2018: Freunde, Fremde, Futterneid

„Meins…! Meins…! Meins…!“ Könnten diese Bilder sprechen, hätte man wohl die aufgeregten, um Futter streitenden Möwen aus „Findet Nemo“ in den Ohren, begleitet von heftigem Flügelschlagen und schnellen Bewegungen, so jedoch wirken sie beinahe wie feinziselierte weiße Kaligraphien auf tief schwarzem Grund. „Gier“ (2014-2017) nennt die Künstlerin Loredana Nemes die 13-teilege Serie, klar und mit höchster Präzision hält sie das hungrige Gerangel der Möwen fest, das sich ganz fabelhaft auf den Menschen umlegen lässt.

Insgesamt sechs Fotozyklen aus den letzten zehn Jahren zeigt die in Rumänien geborene Künstlerin in ihrer ersten größeren musealen Präsentation in der Berlinischen Galerie, drei davon sind eben erst fertig geworden. Sie gibt sich dabei als brillante Beobachterin des Menschen uns seiner Gefühlswelt. Sie analysiert ohne zu werten, sie beschreibt ohne zu psychologisieren, sie vermisst für die Serie „Ocna. Eine Annäherung“ (2017-18) einen männlichen Körper, ohne ihn bloßzustellen. Da geraten auch jene Protagonisten der Serie „Der Auftritt“ (2014), für die Kostümierte des Rheinischen Karnevals kurz aus dem Getümmel der Jecken als Solitäre vor die Kamera gebeten werden, nicht zur Freakshow.

Dem klassischen Sujet des Freundschaftsportrait widmet sich die Künstlerin in der früheren Serie Blütezeit (2012). Um jeden der jungen Dargestellten gerecht zu werden, fotografierte jeden einzelnen innerhalb der Gruppe frontal und arrangiert die Portraits danach wieder aneinander. Im Nebeneinander ergeben die Aufnahmen eine Narration, die viel über das Individuum, aber noch mehr über die freundschaftliche Beziehung der Heranwachsenden zueinander aussagt.

Da ist etwa dieses diffuse Gefühl der Angst, das sich bei Nemes in großformatigen, unscharfen Farbfotografien Unter dem Titel „23197“ (2017-2018) manifestiert, die an Gemälde von Mark Rothko denken lassen, doch sind es frontal aus nächster Nähe aufgenommene LKWs. Gleich einer Reigenspur ziehen sich sämtliche Permutationen der Buchstaben ANGST vertikal über die Wand, überhaupt weiß Nemes, die Germanistik und Mathematik studiert hat, sehr präzise Sprache in ihre Arbeiten zu integrieren.

Die Arbeit an den Serien von Loredana Nemes ist meist über die Dauer von einigen Jahren angelegt, zu den Themen wird das optimale technische Equipment gewählt. Über neun Monate fotografierte die Künstlerin für „beyond“ (2008-2010) mit einer Großbildkamera in Kreuzberg, Neukölln und Wedding die Außenansichten von türkischen und arabischen Cafes und Kulturvereinen, gemeinhin Orte die nur von Männern betreten werden. Was sich drinnen abspielt, bleibt unklar, denn die Schaufester sind meist von Gardinen verhangen oder mit Sichtschutzfolie beklebt, sodass man die Bewegungen im Inneren nur schemenhaft wahrnehmen kann. Umso deutlicher nimmt man dafür die nachts aufgenommene Fremdheit der Fassadengestaltung und das was an Blicken zugelassen wird wahr. In einem zweiten Schritt, Monate später, bat Nemes jeweils einen der Herrn dieser Rückzugsorte einer Männergesellschaft für eine Aufnahme dicht hinter jene Verdeckungen zu treten. Da stehen sie nun, Ali, Ünal, Rasim und all die anderen, die sich für jene verschwommenen Portraits zur Verfügung gestellt haben, ohne ihre Identität preiszugeben. Dass derlei Ansichten für Aussenstehende auch provozierend wirken können, hat auch einer der Protagonisten erkannt, als ihm ein Abzug seines Fotos übergeben wurde. Seine erste Reaktion: „Du, das muss ich nun erstmals verdauen...“

Mehr Texte von Daniela Gregori

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Loredana Nemes - Gier Angst Liebe. Fotografien 2008–2018
22.06 - 15.10.2018

Berlinische Galerie
10969 Berlin, Alte Jakobstraße 124-128
Tel: +49-30-789 02 600, Fax: +49-30-789 02 700
Email: bg@berlinischegalerie.de
http://www.berlinischegalerie.de
Öffnungszeiten: Mo-Sa 12-20, So 10-18 h


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