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Was vom Kino übrig blieb: Filmkrümel

Übriggebliebenes impliziert den Verlust eines ursprünglich Ganzen. Was blieb vom Kino, dem einstigen Leitmedium des vergangenen Jahrhunderts? Eine klug konzipierte Schau im Grazer Künstlerhaus spürt dieser Frage mit fast archäologisch zu nennendem Interesse nach. Die Antwort ist schillernd, vielschichtig und sehr sehenswert. Diese Ausstellung umkreist das Kino, das einst war, und findet dessen Spuren in der Kunst, in Filmartefakten und Fanartikeln wieder. Schon der erste Eindruck lässt erkennen, wie tief sich einzelne Filme, Figuren, Schauspieler, Szenen und alles, was sonst noch Kino ausmacht, ins kollektive Gedächtnis eingeschrieben haben. Die oft kleinteilige Präsentation bietet zahlreiche Objekte, deren kinohistorischer Wiedererkennungswert je nach Kontext erstaunt, belustigt oder irritiert. Besonders die Sammlerstücke wie liebevoll gestaltete Alben mit Fotos von SchauspielerInnen oder eine Sammlung von Einzelkadern aus Stummfilmen – wegen der leichten Entflammbarkeit des Originalmaterials nur als digitale Diashow zu sehen – vermitteln filmliebende Obsessionen. Doch auch Artefakte wie unterschiedlich geformte Glühlampen von Filmprojektoren, Requisiten zu Arthouse-Horror- und Splatterfilmen von Jörg Buttgereit aus den 1980er- und -90er-Jahren oder die legendäre, weil ständig getragene Lederjacke des Experimentalfilmemachers Kurt Krenn können davon erzählen, ebenso die zwei Notizhefte mit Kinderzeichnungen, in denen der spätere Experimentalfilmemacher Hans Scheugl im Alter von neun Jahren seine Kinoerlebnisse festhielt.

Cinephilie und kritische Auseinandersetzung finden sich nebeneinander. Joseph Beuys etwa galvanisierte die fünf Filmrollen von Ingmar Bergmanns „Das Schweigen“ von 1963 und verwandelte das Filmmeisterwerk damit in eine endgültig verschlossene, enigmatisch schweigende Skulptur. Bernd Oppl baute das Unsichtbare Kino, den Saal des Österreichischen Filmmuseums, als kleines Modell nach und lässt den Betrachter, der sowohl aufseiten des „Vorführraums“ als auch bei einer Öffnung anstelle der „Leinwand“ hineinschauen kann, darin zeitverzögert die Hauptrolle spielen. In Kathrin Plavčaks fünf eigens für die Ausstellung in schrillen Farben bemalten, an Werbeaufsteller in Kinos erinnernden Skulpturen aus Holzplatten treffen ikonische Szenen und Figuren der Filmgeschichte in wilden Collagen aufeinander: halbnackte Tänzerinnen vor roten Hakenkreuzfahnen aus „The Producers“ finden sich neben Divine oder Hedy Lamarr neben Woody Allen. Den Kontrapunkt dazu bildet Michaela Schwentners Fotoserie „Figures (Women Under Influence)“. Schwentner abstrahierte ganze Szenen zu je einer kompakten Komposition mit Alltagsgegenständen, in denen Klebeband in der jeweiligen Farbe des Filmkostüms der weiblichen Hauptdarstellerin deren Bewegungen im Raum nachzeichnet.

Siegfried A. Fruhauf bearbeitete analogen Filmabfall und schuf eine Installation mit Fotovergrößerungen von zerkratzten, verstaubten, fehlerhaften Filmkadern, die er auch zu einem abstrakten Filminferno animierte. Zwei Arbeiten des erstmals in Österreich präsentierten japanischen Künstlers Ryusuke Ito bleiben schon wegen ihrer Verspieltheit in Erinnerung: Es sind kleine Modelle, wie sie für Trickaufnahmen verwendet werden, deren aufgezeichnete Bilder zugleich live groß aufgeblasen an der Wand dahinter zu sehen sind und großes Kino evozieren. Das Setting mit dem Dinosaurierkopf erinnert an den Straßenfeger „Jurassic Park“, das Zimmer mit dem fliegenden Bett an Horrorfilme wie „Der Exorzist“. Constanze Ruhm thematisiert in „X Love Scenes“ die filmische Konvention der Liebesszene, die sie in einer Studiosituation eines (hier) weiblichen Begehrens ohne männliches Visavis immer wieder ins Leere laufen lässt. Viktoria Schmid verwendete für ihren Loop „W O W“ auf YouTube gepostete private Videos, die den Abriss einer Kodak-Filmfabrik zeigen, und lässt im Rückwärtsgang das gesprengte Gebäude immer aufs Neue wiederauferstehen. Diesem Trick würde man nur zu gerne auf den Leim gehen, wie man auch noch auf so manches andere in dieser wunderbaren Schau hereinkippen kann, in der das ungebrochene Interesse der Kunst am Kino gefeiert wird.

Nur eines ist wirklich schade: Es gibt keinen Katalog. So wird sich diese feine, aber leider ephemere Zusammenstellung ohne gedruckte Dokumentation bald wieder in alle Winde zerstreuen.

Mehr Texte von Andrea Winklbauer

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Was vom Kino übrig blieb
10.02 - 22.04.2018

KM– Künstlerhaus Halle für Kunst & Medien
8010 Graz, Burgring 2
Tel: +43 316 740 084
Email: hd@km-k.at
http://www.km-k.at
Öffnungszeiten: Di-So11-17 h


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