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Das Brauchtum, das sie meinen

Es ist zwar – #MeToo, Pilz, Proll – momentan kaum irgendwo ein Thema, aber derzeit verhandeln gerade zwei Parteien, wie es mit der Kulturpolitik in Österreich so weitergeht. In ihren Wahlprogrammen finden sich nicht besonders viele Übereinstimmungen, aber in einem Punkt ist man sich einig. „Wir müssen in unserem Kulturverständnis das Schubladendenken zwischen Volks- und Hochkultur überwinden“, heißt es im ÖVP-Wahlprogramm, und zwar gleich an erster Stelle.

Bei der FPÖ nimmt dieses Thema erwartungsgemäß weitaus breiteren Raum ein, nämlich mehr als die Hälfte der eh nur einen Seite, die der Kultur gewidmet ist. „Da Bräuche und Traditionen lebendige Medien sind, welche auch einem Wandel unterliegen und nur von uns Menschen gelebt werden können, liegt es an uns, für unsere Kinder und Enkelkinder diese wertvollen Errungenschaften weiterzuführen“, heißt es. „In einer Zeit der Identitätsvernichtung und der Entfremdung der Völker von ihren Wurzeln im Interesse globaler Großkonzerne und weltweit tätiger Finanzjongleure gilt dem ideellen Engagement für die Bewahrung der eigenen Kultur und Sprache besondere Achtung.“

Die „Fachgruppe Kunst und Kultur“ ist bei den aktuellen Regierungsverhandlungen jenem „Cluster“ zugeordnet, der von Josef Moser (ÖVP) und Harald Stefan (FPÖ), geleitet wird. Stefan ist, wie so viele andere FPÖ-Parlamentarier, Mitglied einer Burschenschaft, der Olympia. Was diese wohl unter Tradition und Brauchtum versteht? Vielleicht die Leugnung des Holocausts? Schließlich lud man ja einst den einschlägig bekannten David Irving für einen Vortrag ein. Und zählt man zur „eigenen Kultur“ auch einen Liedermacher wie Michael Müller, der einst in einem unsäglichen Song den Holocaust verherrlichte und 2003 bei der Olympia auftrat? Auch jener Mann, der in die Verhandlungen geschickt wurde, ist Burschenschafter, nämlich bei der Libertas. Dort gruselte man sich noch im Jahr 1957 vor einer angeblichen „Beherrschung des deutschen Kulturlebens durch Juden“. Vor wenigen Jahren verlieh man einer neonazistischen Jugendorganisation, dem Bund freier Jugend, einen Preis. Und auf der Website schreibt man über die Mensur, sie sei „Tradition – Selektion – Faszination“.

Das ist also das Brauchtum, das sie meinen. Ob es sich im Regierungsprogramm niederschlägt, wird man erst sehen. Dennoch: Es sind genau diese Leute, die im Moment über die Kulturpolitik verhandeln. Das nackte Grauen. Ist das die „Veränderung“, die sich die ÖVP und ihre Wähler so herbeisehnen?

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Titelbild: Gustav Adolf Closs, 1890, Mensur im Walde,

Mehr Texte von Nina Schedlmayer

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