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Ines Doujak - Masterless Voices: Kleider im Aufstand

Ines Doujak bezeichnet sich selbst als Outsiderin der österreichischen Kunstszene. Ihre konzeptuelle Kunst, die auch mit Musik und von sozialkritisch-dokumentarischen Texten unterfütterten Performances arbeitet, die sie zusammen mit dem Romancier und ehemaligen Aktivisten John Barker aufführt, ist ein Ausnahme-Erlebnis.

Zu einem großen Teil bildet für die Künstlerin das Motiv der Textilien - als Material, Methode und Medium - die Grundlage ihrer installativen Arbeiten, die dunkle und verdrängte Geheimnisse der Modewelt enthüllen. Das Textile beinhaltet das interkulturelle Gedächtnis, das Wissen um die Rolle und brutale Ausbeutungspraktiken der Textilindustrie sowie ein Identität stiftendes politisches Emanzipationspotenzial. Von mehrschichtigen Collagen bis zu großformatigen Skulpturen übersetzt Ines Doujak die geschlechtsspezifischen, rassistischen und kolonialen Kodierungen des Textilen aufs Neue in einer offensichtlichen Revision des Materials. Da im österreichischen Kunstbetrieb die „Globalismen“ immer noch marginal auftreten, verwundert es auch nicht weiter, dass Doujak ihre Soloshows vorwiegend im Ausland stattfinden lässt. 2016 stellte sie im Stuttgarter Kunstverein aus und jetzt nahezu paradoxerweise in Polen, wo die Kunstinstitutionen hinsichtlich der Präsentation globaler Formensprache und postkolonialer Politik noch einiges nachzuholen haben.

„Bezpańskie głosy“ (Herrenlose Stimmen) heißt Ines Doujaks Einzelausstellung im Krakauer Bunkier Sztuki, die mehrere Zyklen ihrer Schaffensphasen vernetzt. Trotz der erschreckenden Einsichten in die erbärmlichen Seiten kapitalistisch-neoliberaler Globalwirtschaft, fasziniert die abwechslungsreich strukturierte Präsentation mit verlockend leuchtender Farbenpracht und Rastermustern ihrer Stoffarbeiten, die nun scheinbar einem westlichen Kulturkanon angepasst sind. Der Hauptraum mit den Untertiteln: Haut Couture 01 Brände, HC 03 Karneval und HC 05 Affen ist vom theatralischen sprich bühnenhaften Realismus der Raumaufteilung in quasi einzelne Business-Boutiquen aufgeteilt. Jede von diesen einzigartigen Kulissen erzählt eine eigene Geschichte sozialer Entfremdung und bietet zugleicht als begehrte Ware künstlerische Kleiderstücke, die man ausnahmslos berühren und auf der Stelle anprobieren darf. Ad hoc fühlt man sich dann in eine kapitalistische Weltordnung eingebunden, wenn man Doujaks Designerkleider am Körper trägt und zugleich die Miniaturfotos studiert, die in einer schier endlosen Reihe einen Paravant schmücken. Die aus dem Archiv der Künstlerin stammenden Bilder dokumentieren imaginäre und anwendungsbezogene Fantasien der weißen Eroberer, die Affen mit Frauen, Fremden und Schwarzen gleichsetzten, um das Fortleben der Unterschiede und Hierarchien im Raubtierkapitalismus zu gewährleisten. So wird das Textile bei Doujak auch in eine Kausalkette der Produktionsbilder umgesetzt, um der Kulturgeschichte auf den Grund zu gehen.

Das Thema der prestigeträchtigen Haut Couture und billigen Industriekonfektion ist seit 2010 kontinuierlicher Bestandteil des Werks der Künstlerin. In „HC 01 Brände“ wird die Ambivalenz des Prometheus-Mythos und die westliche Zerrissenheit zwischen Gefangenschaft und Befreiung, Fortschritt und Regression angesprochen. Die Unschärfe und Widersprüchlichkeit widerfährt dabei auch dem behüteten Symbol des Widerstands und der Selbstbestimmung: Die aus Metallstangen zeichenhaft dargestellte geballte Faust fristet ab jetzt bloß als Kleiderständer sein Dasein – oder eben nicht. 

Dabei provoziert Doujak die BetrachterInnen schon beim Betreten ihrer Schau, indem sie den Zugang zur Ausstellung teilweise versperrt: man geht die Treppe hinauf und steht plötzlich vor einer Zwergfigurengruppe aus Papiermaché. Es sind die Looters, die Plünderer, die gerade kostbare Kleiderstücke aus einem teuren Laden geraubt haben. Mit diesen sich wie wilde Affen gebärdenden Vandalen schließt das letzte Kapitel der Ausstellung, „Transport“, einen Kreis: von den an der Nebenwand in einer Großcollage gezeigten, mühselig arbeitenden Menschen, die in Sklavenarbeit kostbare Rohstoffe aus dem Inneren der Erde transportieren, bis zur Präsentation von Luxusgütern auf Wandregalen. Modische Handtaschen, Hefte, hübsche Rucksäcke und auch tragbare Bücherschränke mit Fachliteratur zum Thema Globalismen sind hier ausgestellt. Ihre Oberflächen widerspiegeln wiederholt die ursprünglichen ausbeuterischen Arbeitsprozesse und transformieren somit die objektive Realität in die Sphäre der sinnlichen, verinnerlichten Aneignung der Welt. Womit die Entfremdung der Realität anhand der Dialektik zwischen Innen und Außen aufgehoben sein will. Diese Dialektik setzt sich auch in den Collagen unter dem Titel „Skins“ fort.

Muster, die vordergründig wie sinnliche Ornamente aus menschlichen sowie tierischen Körperteilen und Pflanzen aussehen, sind Darstellungen der von den Kolonialisten eingeschleppten Krankheiten, die auf die indigene Bevölkerung Nord- und Südamerikas schaurige Auswirkungen hatten. Diese Ornamente verbinden sich netzwerkartig mit dekorativen Stoffen und Dessins, aus denen Kleider, Masken, brasilianische Karnevalkostüme und geometrische Camouflage-Hüllen für die Kriegsschiffe während des ersten Weltkriegs angefertigt wurden.

Die österreichische Künstlerin bedient sich immer wieder der Masken als Ausdruck des Widerstandes und der Proteste. Diese ermöglichen auch politische Partizipation, ohne Anspruch auf Repräsentation zu erheben. Ines Doujak ließ sich in Krakau in einer inszenierten Maskierung auf dem Cover einer Zeitungsbeilage ablichten. Ihre Identität bleibt dabei verschleiert und wirkt überindividualisiert. Die Beschwörung des Karnevals, mit dem die Show endet, verbindet die kapitalistische Entfremdung und Ausbeutung mit der utopischen Vision des Nicht-Kapitalismus, zumindest im Moment. Das musikalische Video mit einem Gesang der „herrenlosen Stimmen“ bildet einen Schlussakkord dieser aufwühlenden und Unruhe stiftenden Ausstellung - ein Ausnahmenereignis in der Gegenwart, in der die Mainstream-Kunst sich nur diskret politisch zu erkennen gibt.

Mehr Texte von Goschka Gawlik

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Ines Doujak - Masterless Voices
09.09 - 12.11.2017

Bunkier Sztuki
31-011 Krakow, pl. Szczepanski 3a
Tel: (+48/12) 422-10-52; 422-40-21, Fax: (+48/12) 422-83-03
Email: bunkier@bunkier.com.pl
http://bunkier.art.pl


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