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Sternstunden

„Der menschenleere, von Indianern bevölkerte Grenzraum“ war bisher mein Lieblingseintrag in der Kartografie der Überheblichkeit. Er stammt aus den Fünzigern, gedacht und getan von Ernst Fraenkel, der für sich in Anspruch nehmen darf, ein ernsthafter Historiker zu sein. Fraenkel hat, noch mitten in dessen himmelschreiendem Treiben, den „Doppelstaat“ analysiert, die Kombination aus purem Zuschlagen und benachbarter Legitimierung, in der sich das NS-Regime erging. Fraenkel war kein Dummkopf. Und doch ist ihm da etwas passiert, was nicht hätte sein müssen.

Doch wie wäre es mit dieser aparten Formulierung: „Zuerst, so weiß man, sind Steppen, Steppen mit ungeheuren Büffelherden, tageweit, wochenweit menschenleer, nur durchjagt von den Rothäuten“. Unverkennbar ist die gleiche Gegend gemeint, und auch hier, gerade hier, gilt der Autor als Vorzeigestück. Stefan Zweig heißt er, die soeben zitierte Stelle stammt aus einem seiner vielen Bestseller, Schullektüre bis heute, bekannt unter dem Titel „Sternstunden der Menschheit“. Jetzt ist es neunzig Jahre her, dass das Buch in einer ersten Zusammenstellung erschienen ist. Vor 75 Jahren, 1942, hat Zweig sich im brasilianischen Exil das Leben genommen. Doch für die „Sternstunden“ braucht man keine Jahrestage.

„Historische Miniaturen“ wollte der Schriftsteller versammeln. Momente, in denen Epochen ganz zu sich kommen, sollten für sich selber sprechen. In typischer, überkandidelter Diktion schreibt Zweig einleitend: „Denn in jenen sublimen Augenblicken, wo sie vollendet gestaltet, bedarf die Geschichte keiner nachhelfenden Hand. Wo sie wahrhaft als Dichterin, als Dramatikerin waltet, darf kein Dichter versuchen, sie zu überbieten“. Der Autor verspricht Zurückhaltung. Allein die Auswahl wollte er treffen und ansonsten die Ereignisse ohne Zorn oder Eifer in purer Gegebenheit zu Wort kommen lassen.

Das liest sich dann, etwa wenn er Georg Friedrich Händel beim Komponieren über die Schulter blickt, so: „Oh, es fassen und halten und heben und schwingen, das Wort, es dehnen und spannen, daß es weit werde wie die Welt, daß es allen Jubel des Daseins umfasse, daß es groß werde wie Gott.“ Zweig ist ein gnadenloser Kitschier. Und natürlich meint er sich selber mit. Wenn welcher große Gestalter auch immer sich der Welt zukommen lässt, dann steht auf dem Buchdeckel, der ihn stilisiert, immer auch der Name Zweig. Doch derlei ist ja noch Geschmackssache.

Wie aber steht es damit: „Der verbündete Kazike stellt seine Indios als Tragtiere und Führer bei“. Die Indios als Tragtiere kommen in einem Kapitel vor, das den Conquistador besingt, den spanischen Eroberer, der an der Meerenge von Panama beide Ozeane auf einmal sieht. Der Weg dahin ist schwierig: „Er verbietet mitten in dieser von Menschen noch nie betretenen Wildnis den Soldaten, von den Eingeborenen Gold zu erhandeln.“ Es ist ein „Weg ins Unbetretene“ Und jeder hat „die Sinne wachsam gespannt, um einen plötzlichen Überfall der Eingeborenen abzuwehren“. Aber alles wird gut, und am Ende winken den Kernkunden bei ihren Fernfunden dann doch Sternstunden. Gut, dass ein Häuptling, Zweig kennt sogar seinen Namen, er heißt Comagre, dem Entdecker verraten hat, wie und wo man das Gebirge mit dem sagenhaften Blick erreicht. Nunez de Balboa, denn um ihn geht es, hat so auch die Unsterblichkeit erreicht. Es war sein „Auge, das als erstes der Menschheit gleichzeitig beide Ozeane geschaut, die unsere Erde umfassen.“

Zweig gilt als so etwas wie ein Humanist. Er war in Aufruhr, er hatte Flucht hinter und Ungewissheit vor sich, als er seine Sternstunden erweiterte und neu edierte. Die Stelle mit den Rothäuten stammt aus dem Jahr 1927. Nunez de Balboa bekam seine Eloge im Jahr 1937. Die Menschheit jedenfalls, an die Zweig sich mit dem Werk adressierte, war jene, die es in diesen Jahren einmal mehr richtig krachen ließ. Der Flüchtling und diejenigen, die ihn in die Flucht hetzten, hatten dabei den selben Tunnelblick auf die herrlich weiße männliche Zivilisation (natürlich bekommt keine Frau ihre Sternstunde). Das ist heute der Ertrag einer Lektüre der „Sternstunden der Menschheit“. Ansonsten sollte man deren Eignung fürs Curriculum langsam überdenken.

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Abbildung: Stefan Zweig an seinem Schreibtisch, Salzburg um 1925; Foto: Stefan Zweig Centre Salzburg

Mehr Texte von Rainer Metzger

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