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Welt im Wandel

„Es hat eine symbolische Bedeutung, daß der Holzschnitt, der die Wünsche und Gedanken eines erwachenden, emporstrebenden Zeitalters in alle Welt trug, ein Hochdruckverfahren war, der Kupferstich, der die Gefühle einer absterbenden, in sich versenkten Epoche gestaltete, ein Tiefdruckverfahren, die Lithographie aber ein Flachdruck.“ Natürlich hat es Egon Friedell mit diesem sehr typischen Bonmot aus seiner „Kulturgeschichte der Neuzeit“ auf seine Gegenwart abgesehen, die Epoche des Flachdrucks. Und womöglich geben wir alle ihm Recht. Wie aber steht es mit den Zeitaltern davor, die Friedell als Fond braucht, um seine Auf- und Abstiege zu inszenieren?

Auf ihre Weise fragt sich das Ausstellung des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg, wenn sie eine „Welt im Wandel“ auszumessen versucht. Wie jedes Haus der Geschichte muss es sich zum Lutherjahr etwas einfallen lassen. Und weil da die Leihgaben entsprechend rar sind, muss man meistenteils mit eigenen Exponaten sein Auskommen finden. Und weil man immerhin eine Weltsensation besitzt, den Globus, auf dem der Nürnberger Martin Behaim 1493 seine Sicht auf eine kugelige, jenseits des Ozeans mit einer indischen Hemisphäre ausgestattete Welt kundtat, verschränkt man Reformation mit Entdeckergeist. „Luther, Kolumbus und die Folgen“, so der namenstropfende Titel, lotet also aus, wie viel Aufbruch die vielfältig vorgeführten Holzschnitte verkörpern und wie viel Zukunftsangst die nicht minder ausgebreiteten Kupferstiche.

Man war jedenfalls neugierig seinerzeit. Man wollte wissen, wie das Paradies aussieht, wie der menschliche Körper und wie, im Ineinanderstülpen von Mikro- und Makrokosmos, der Rest des Universums. Gott war noch vorhanden, aber er war zurückversetzt in eine Art Quarantäne, wo die Kommunikation mit ihm schwierig wurde. Allein durch die Gnade werde dem Menschen Erlösung zuteil, verfügte Luther. Mit guten Werken und sonstigen Angeboten war dem Herrn nicht mehr zu kommen. Das leerte die Kirchen rabiater als jeder, auch noch vorhandene, Bilderstürmer, denn Stiftungen, etwa in Form von Altären, brachten buchstäblich nichts mehr ein. Dafür durfte man sich, wie Max Weber es nannte, in innerweltlicher Askese üben. Vor allem der Innerwelt kam das zugute. Innerhalb eines Jahrhunderts würde die Erde eine erstaunliche Metamorphose erfahren.

Entsprechend prunkt die Schau mit allerlei Kuriositäten, die man dem Lebendigen entlockte. Dass man Angst vor der eigenen Courage bekam und in jedem Detail eine Anspielung auf die spätestens übermorgen stattfindende Apokalypse wahrnahm, gehörte zum speziellen Fin de Siècle. „Es wird kälter“ heißt dann das Schlusskapitel der Ausstellung. Was hilft die Offenheit der Welt gegenüber, wenn die mit Schroffheit reagiert. Leider geht diese schöne Idee für einen Epilog ein wenig im Feuilleton unter. Auf Pessimismus und Klimaproblematik ist gerade Philipp Blom abonniert. So oder so ist die Welt im Wandel eine aus den Angeln.

Noch ein Zitat, Georg Friedrich Lichtenberg, Sudelbücher, Heft G 183: „Der Amerikaner, der den Kolumbus zuerst entdeckte, machte eine schlimme Entdeckung.“ Das Thema jedenfalls ist, wie sagt man, aktuell.

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Abbildung: Sebastian Münster: Neue Inseln als Neue Welt, 1549, Holzschnitt, koloriert, auf Papier
25,5 cm hoch x 33,5 cm breit, Stiftung Eutiner Landesbibliothek, Eutin

Mehr Texte von Rainer Metzger

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