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Angeli

Zwei der betörendsten Ansichten der Gegenwartskunst: Auf 5,40 mal 1,80 Metern macht sich Leere buchstäblich breit. Material ist zu sehen, Jute und Ölkreide, Materie ist zu erkennen, Himmel und Wasser. In der Horizontalen gibt es, als würde sich langsam Herzfrequenz einstellen, ein vages Auf und Ab von Linien zu sehen. Eduard Angeli bringt Venedig auf die Malfläche. Sehr panoramatisch ist die Perspektive, sehr elementar die Methode, und die Stadt stellt keine Sehenswürdigkeit dar, sondern schwimmt wie Seetang auf der Lagune. Eduard Angeli, Lagune, 100x100 cm / Venedig, Nacht, 180x580 cm Seit vielen Jahren hat der Wiener Künstler ein Atelier auf dem Lido, es liegt im Souterrain, gleichsam auf Augenhöhe mit dem Wasserspiegel, und der Blick geht Richtung Bacino, also zum Zentrum hin. Von hier aus lässt sich das millionenfach Bewährte völlig neu justieren. 2003 sind so zwei Veduten entstanden, eine Tages- und eine Nachtansicht, die das uralte Bildsujet der Veneziana auf das Aufregendste bereichern. Für alle, denen der Nerv im Moment woanders steht als mit dem Kunstbetrieb in den Giardini, wäre Angelis Bildpaar die rechte Remedur. Wäre. Denn ausgerechnet Angelis spektakulärste Arbeit fehlt in der Versammlung, die sich gerade in der Albertina abspielt und die dort „Retrospektive“ genannt wird. Tatsächlich sind Angelis zwei Hymnen auf ein Venedig als Paradies der Orthogonalen einige Male gezeigt worden, namentlich in seiner Schau vor Ort, im Museo Correr auf der Piazza San Marco im Jahr 2008. Doch sollten Retrospektiven durchaus auch Rückschau halten auf die, sagen wir, größten Erfolge. Dem Kurator Klaus Albrecht Schröder war derlei wohl suspekt. Meine Rückfrage diesbezüglich bei Angeli ergab: Am Künstler lag es nicht. Ein profundes Much of Nothing strahlen Angelis Bildwelten aus. Es ist nicht so, dass es nun in der Albertina ein zu Wenig an solchen Hommagen an das Nichts gäbe. Angelis Szenarien sind peu à peu die Ingredienzien losgeworden, die dem Figurativen das Elixier mischen: erst die Menschen, dann die Sensationen, zuletzt die Umgebungen. Übrig bleibt das Gerüst, das Prinzip Konstruktion, in das sich Gebilde einhängen, die Architektur sein könnten, ließen sie sich nur mit einer Funktion verbinden. Angelis Kompositionen sind nichts als sie selbst, abstrakt gleichsam, bliebe nicht das Magische an diesem Realismus so hartnäckig bei der Sache. 1942 in Wien geboren, hat Angeli in den 1960ern in Istanbul gelebt und gearbeitet. Seit zwei Jahrzehnten hat er einen Lebensmittelpunkt eben in Venedig. Und in letzter Zeit hat es ihm Sankt Petersburg angetan. Da ist ein Quartett an Städten abgezirkelt, die, sagen wir es deutlich, ihre größte Zeit hinter sich haben. Das Weltreich, das einst an ihnen hing, ist dem Bemühen um welche Modernität auch immer gewichen, um Maßstäbe, die sich an Einwohner-, Besucher- oder Opernkartenverkaufszahlen aufrichten. Angelis Konstruktivismus bringt die Tristesse zur Kenntlichkeit, die notwendig damit verbunden ist. Die Quantität schlägt in Qualität um. Die Leere wird zum urbanen Zustand.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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