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Brigitte Kowanz, Erwin Wurm - Österreichischer Pavillon: Attenzione Binario

Attenzione, Attenzione! Die Ökonomie der Aufmerksamkeit einmal mehr auf die Spitze getrieben: Wie souverän Brigitte Kowanz und Erwin Wurm hier im Fach der Kommunikation agieren, war zu erwarten. Kein Thema mehr ist hier die oft angesprochene Unterschiedlichkeit der beiden Positionen. Denn tatsächlich handelt es sich um zwei Ausstellungen nebeneinander. Keine Berührungen. Den straight, cool und magisch wirkenden Lichtarchitekturen der Brigitte Kowanz, die sich aus signifikant leuchtenden Bildobjekten heraus scheinbar in den unendlichen Raum ausdehnen, begegnet man nämlich in einem eigens dafür errichteten White Cube, den Hermann Eisenköck in den Giardini als Zubau zum Österreich Pavillon von Josef Hoffmann und Robert Kramreiter entwarf. Hier besticht Kowanz durch ein Höchstmaß an Klarheit. Eine starke Setzung; zweifellos. Die Frage, wie Erwin Wurm diesmal Zeichen setzend wirken würde, beantwortet er mit einer weithin sichtbaren Skulptur in Form eines hochgestellten LKW von 8 Meter Länge bzw. Höhe. Natürlich involviert sie ihr Publikum, indem sie als Aussichtsturm benütz– und also begehbar ist. Wie intelligent Wurm dabei ironische Tupfer setzt, ohne zu vergessen, die Massen durch Verständlichkeit einzubeziehen, erweist sich dann oben (auf dem Hinterteil) des Trucks in Form der Anleitung zu einer »One Minute Sculpture«. Was hier zu performen ist, liest sich so: »Stillstehen und über das Mittelmeer schauen«. Doch, die Blicke in diese Richtung gewendet, sieht man es gar nicht. Das kann man so oder so nehmen. Am wenigsten aber bezogen auf das Mittelmehr in dessen Bedeutung als hochpolitisierte Konfliktzone, als Zone der Hoffnung und Ort des Todes für Tausende. Bei Erwin Wurm zumindest, der unlängst wieder betonte, dass im seine Kunst seit jeher zu schade für die Politik gewesen sei. Das Publikum begegnet einem virtuosen, intelligenten Spiel. Auch im Inneren des Österreich Pavillon, wo Wurm seine Aufforderung an das Publikum, doch selbst sogenannte »One Minute Sculptures« zu realisieren per aufgestelltem Wohnwagen ausspricht. Verschiedene Öffnungen und Adjustierungen laden dazu ein, sich selbst zu verrenken. Mitunter sieht das ganz lustig aus, mitunter scheitert man, was im übrigen auch ein Leitmotiv bei Wurm ist: das existentielle Scheitern. Und merkwürdig: die eigenartigen Bewegungen des Publikums erinnern ein wenig an die Aktionen mit den Passstücken von Franz West, der den Pavillon vor beinahe 30 Jahren bespielte. Schnell vergessen, durch deren enorme Unterschiedlichkeit, jedoch ist jene gedankliche Brücke zwischen den beiden auseinander und nebeneinander liegenden künstlerischen Positionen, welche die Kommissärin des österreichischen Pavillons Christa Steinle zog. Tatsächlich nämlich kommt das Denken von Kowanz und Wurm aus dem Kontext eines erweiterten Skulpturenbegriffs und der Auseinandersetzung mit Raum. Etwas zu selten erwähnt wird, dass Brigitte Kowanz in ihrem Streben nach Abstraktion und Poesie auch den gesellschaftlichen Raum einbezieht. Der binären Struktur des Lichts entsprechend transformierte sie – wie bereits des öfteren – Morsecodes in bedeutsame, auf Zahlen basierende Informationen. Hier in Venedig finden die BesucherInnen sich in ihrer eigenen Realität des Virtuellen gespiegelt, wenn sie in eine sich ins Unendliche erstreckende Lichtbox aus halbverspiegeltem Glas und geschwungenen Neonröhren blicken. Das Superzeichen bezieht sich auf den 12. 3. 1989, jenem Tag, an dem das Internet als ehemals militärisches Kommunikationstool der Öffentlichkeit präsentiert wurde. In weiterer Folge verweisen kleinere Lichtboxen von Brigitte Kowanz auf den Start von Google, den Beginn von Wikipedia als Wissensraum und auf die Vorstellung des iPhone als universelles, ortsungebundes Kommunikationsgerät. In höchster Abstraktion und mathematischer Zuspitzung blicken wir in den Raum und damit uns selber an unter dem Paradigma einer digital durchstrukturierten Realität, deren algorithmische Schlingen immer enger werden. Auf der Ebene der bildenden Kunst einen Kommunikationsraum zu öffnen bedeutet hier in mehrfacher und hochaktueller Hinsicht, in einer grundsätzlich poetischen Annäherung auch die sozialpolitische Dimension des Gesellschaftlichen zu berühren. Ein seltsamer Effekt insgesamt. Gerade diese Unterschiedlichkeit, diese Einladung zu einem gedanklichen und wahrnehmungstechnischen Oszillieren zwischen diesen beiden Positionen macht diese geradezu eigentümlich binäre Bespielung des österreichischen Pavillons auf der diesjährigen Biennale di Venezia so interessant und spannend.
Mehr Texte von Roland Schöny

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Brigitte Kowanz, Erwin Wurm - Österreichischer Pavillon
13.05 - 26.11.2017

Österreichischer Pavillon - La Biennale di Venezia
30122 Venezia, Giardini della Biennale
https://www.biennalekneblscheirl.at
Öffnungszeiten: täglich 11 - 19 h, Fr, Sa bis 20 h,
Montag geschlossen außer 25/07, 15/08, 5/09, 19/09, 31/10, 21/11


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