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Anri Sala - Take Over: Political Song Contest

Anri Salas Installation „Take over“ in den neuen Räumen der Galerie Esther Schipper gilt als eines der Highlights des diesjährigen Gallery Weekends. Doch die in den neuen Räumen der Galerie gezeigte, durchaus spannende Arbeit, hat auch ihre Tücken. Casablanca: Deutsche Nazi-Soldaten stimmen in Rick's Bar das „patriotische“ Lied „Die Wacht am Rhein“ an und schmettern a cappella „Lieb Vaterland, magst fröhlich sein ...“, doch die Reaktion lässt nicht lange auf sich warten und die übrigen Gäste des Etablissements singen, unterstützt von Rick's Bar-Combo, die „Marseillaise“. Schnell wendet sich das musikalische Blatt: Nach der anfänglichen Überlagerung beider Hymnen ist schließlich nur noch die „Marseillaise“ zu hören. Letztere spielt auch in Anri Salas Installation „Take over“, 2017, eine im wahrsten Sinne des Wortes „widersprüchliche“ Rolle, dieses Mal nämlich tritt die französische Nationalhymne an gegen „Die Internationale“, dem immer noch populärsten Kampflied der sozialistischen Arbeiterbewegung. Eine Hand nur ist da in Salas Film zu sehen, die auf einem Klavier die beiden Musikstücke spielt, mal die eine Melodie, mal die andere. Zeitweilig werden die Tasten auch wie von Geisterhand bewegt, keine Hand ist zu sehen – wer also spielt hier wirklich? Und was wird hier gespielt? Denn wie bei „Casablanca“, überlagert sich die „Marseillaise“ auch in diesem Film immer wieder mit dem konkurrierenden Lied. In totale Kakophonie schließlich mündet dieser Wettstreit zweier derzeit ideologisch überaus gegensätzlich eingesetzten Hymnen, ist doch die „Marseillaise“ z. B. derzeit auch auf Veranstaltungen der französischen rechtsnationalen Partei „Front National“ zu hören. Nahezu rechtwinklig an der Filmleinwand angebrachte Glasscheiben verstärken diesen verwirrenden akustischen Eindruck zudem visuell, spiegelt sich doch so das Geschehen irritierend in ihnen. So weit so gut, doch wie weit wird hier tatsächlich nach der Semantik und der Pragmatik von politisch aufgeladenen Musikstücken gefragt? Entschärft Sala in seiner überaus perfekt, ja schon slick produzierten Arbeit, nicht gerade durch die Konzentration auf den instrumentellen Teil der beiden Lieder die politischen Implikationen, die eine solche Arbeit aufwerfen könnte?! Gerade in einer neoliberal und überaus global agierenden Galerie wieder der von Esther Schipper - signifikanterweise zeichnen sich die neue Räume vor allem dadurch aus, dass der „private showroom“ deutlich an Fläche gewonnen hat – würden z. B. Zeilen aus der „Internationalen“ wie „In Stadt und Land, ihr Arbeitsleute, sind wir die stärkste der Partei'n, die Müßiggänger schiebt beiseite! Die Welt wird unser sein“ einen spannenden Widerspruch zu den vor allem während eines Gallery Weekends anwesenden mehr oder weniger reichen „Müßiggängern“ entwickeln. Stattdessen spielt „Take over“ in einem rein kunstinternen Dialog an seine eigene Arbeit „Ravel Ravel Unravel“ an, die Anri Sala auf der Venedig Biennale 2015 gezeigt hat. Dort nämlich treten zwei Interpretationen eines Klavierstücks des Komponisten Maurice Ravel in einem Contest gegeneinander an, in einem Contest zudem, in dem die Interpretationen ebenfalls jeweils mit nur einer Hand gespielt werden. Gallery Weekend und Venedig Biennale, Klaviermusik und Ravel – dass sind eben doch schon eher die Welten der „Müßiggänger“ als der sozialistische Arbeiterkampf.
Mehr Texte von Raimar Stange

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Anri Sala - Take Over
29.04 - 17.06.2017

Esther Schipper
10785 Berlin, Potsdamer Straße 81E
Tel: +49 30 374 433 133, Fax: +49 30 374 433 134
Email: office@estherschipper.com
http://www.estherschipper.com
Öffnungszeiten: Di-Sa 11-18 h


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