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Joe Ramirez - The Gold Projections: Fragile Schönheit

Damit nicht in Vergessenheit gerät, welche Wegstrecken man in Berlin zurücklegt, um Kunstprojekte und Ausstellungen aufzufinden, hat es auch diese kleine Expedition in sich. Nach dem Hinweis am Berlinale Info-Schalter, dass es bloß noch 368 Meter die Potsdamer-Straße entlang seien bis zum Kulturforum mit seiner Gemäldegalerie, folgt vor Ort ein Anstieg im eisigen Gegenwind. In dieser Ödnis hin gewürfelter Gebäudeteile, die nie und nimmer ein Forum ergeben, ist es die Suche nach Gold im wörtlichen Sinn. Der amerikanische Künstler Joe Ramirez hat nämlich ein Verfahren entwickelt, das es möglich macht, Filme auf Gold zu projizieren. The Gold Projections bilden zugleich den Prolog zur großen Sonderausstellung des Kulturforums Alchimie.Die große Kunst ab kommenden April. Wie in einem Kinocenter nach Vorstellungsbeginn wird man in der weitläufigen Leere des Foyers schließlich in den Raum der Installation gelotst. Fotografieren strikt verboten. Das Smartphone wird in einem goldfarbenen Säckchen versiegelt. Eintritt nur zu fixen Beginnzeiten. Doch wer bis hierher, in den schwarz gestrichenen Sonderausstellungsbereich vorgedrungen ist, erlebt ein besonderes Schauspiel. Es ist eines der Seitenprojekte der Berliner Filmfestspiele. Im hinteren Bereich knien Assistentinnen und gelegentlich auch der Künstler selbst auf einem extra für diese Aufgabe übergroß dimensionierten Arbeitstisch. Auf eine hölzerne Scheibe von 2,5 Metern Durchmesser tragen sie Blattgold auf. Daneben ist das typische Handwerkszeug von Vergoldern zur Ansicht illustrativ ausgebreitet. Der Arbeitsvorgang wird alle 20 Minuten unterbrochen, weil dann auf einen wesentlich kleineren Prototyp der entstehenden Gold-Leinwand Kurzfilme projiziert werden. Die vergoldete Scheibe soll eine Pupille symbolisieren. Was sich ereignet wirkt geradezu mystisch, bezieht sich aber aber auf die Geschichte der Naturwissenschaften. Ebenso ist es eine Alchemie des Lichts und eine Feier des projizierten Bildes. Die gezeigten Ausschnitte des Films Somnium von Joe Ramirez basieren auf einer 1608 verfassten utopischen Erzählung des Astronomen Johannes Kepler, dessen Mutter ungefähr zur gleichen Zeit wegen Hexenverdachts verfolgt worden ist. In dem Science Fiction Text imaginierte Kepler eine Reise zum Mond. Die Überlagerung historischer Themen in Verbindung mit der eigenwillig inszenierten Feier des Kinos und der Projektionskunst gibt einiges her. Motive aus Keplers SciFi-Story aufgreifend, ist der Film von Joe Ramirez visuell beeinflusst vom spanischen Meister Velazquez. Dem Künstler schwebte ebenso "eine Hommage an Goya und seine Schwarzen Bilder und an Tarkowskis Andrej Rubljow" vor. Was sich auf der goldenen Projektionsfläche visuell materialisiert, fasziniert auf Anhieb, doch geben einem die Bilder Rätsel auf. Wozu eigentlich dieser wahnsinnige Aufwand? Wozu ein derart elitäres Schauspiel, das überhaupt nur eine kleine Runde Kino- und Kunstbegeisterter wahrnehmen wird? Wozu eine Filmreihe, die wegen ihrer speziellen Vorführbedingungen von kaum jemandem komplett rezipiert werden kann? Die obsessive Arbeit des Joe Ramirez, die mit Darstellern wie Patti Smith oder Blixa Bargeld unter Beteiligung von Wim Wenders und Jim Rakete produziert worden ist, lässt sich wahrscheinlich aus dessen spezieller Kunstwahrnehmung als Restaurator von Werken der Renaissance erklären. Mehr als zehn Jahre war der aus San Francisco stammende Joe Ramirez als Fresken- und Tafelmaler tätig. Während der Restaurierung der Sixtinischen Kapelle hatte er Gelegenheit die Fresken Michelangelo s aus allernächster Nähe zu betrachten. Die Fahrt mit dem Lastenaufzug zur Decke hin wurde für ihn zu einem zentralen und prägenden Erlebnis, das er mit einer Kamerafahrt vergleicht. Nun möchte er experimentelle Erfahrungen des Sehens schaffen wie sein kalifornischer Künstlerkollege James Turell. So nach und nach wird verständlich, an welch großartigen Ort der Feier visueller Inszenierung man vorgedrungen ist, während draußen allerorts hunderttausende Bildchen durchgeklickt werden. Das Pathos lässt sich nicht verleugnen. Doch sind die Berlinale – neben dem politischen Charakter des Filmfestivals – nicht ebenso eine Feier der Kultur des bewegten Bildes? Wie viele Aufgaben und Dimensionen den beiden Ausdrucksformen Film und Kunst auch zugeschrieben werden, dies ist ein ernstzunehmender und hochinteressanter Versuch, Fragen nach der Bedeutung und den Qualitäten des artifiziellen bewegten Bildes zu stellen.
Mehr Texte von Roland Schöny

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Joe Ramirez - The Gold Projections
07 - 19.02.2017

Kulturforum
10785 Berlin, Matthäikirchplatz 8
Tel: +49-30/266 29 51
http://www.smb.spk-berlin.de
Öffnungszeiten: Di, Mi, Fr, Sa, So 10-18, Do 10-20 h


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