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Woman - Feministische Avantgarde der 1970er-Jahre aus der Sammlung Verbund: Das andere Geschlecht

Das Museum moderner Kunst mumok zeigt bis zum September 2017 rund 500 Werke aus der Sammlung Verbund.

Gabriele Schor, die wissenschaftliche Leiterin der Sammlung, hat gemeinsam mit ihrem Advisory Board seit 2004 systematisch feministische Kunst der 70er Jahre gesucht, angekauft, renoviert und systematisiert. Im mumok ist nun eine Auswahl der Arbeiten dieser zutiefst politischen Künstlerinnen zu sehen. Allen gemeinsam ist die Unterwanderung der simplen männlichen Zuschreibung von Geliebter, Hausfrau und Mutter. Die Analyse dieser weiblichen Klischees und ihrer eigenen Selbstdefinition entfaltet eine Fülle von Darstellungsformen. Unterstützend dabei sind neben der Fotografie auch die neuen Medien der 70er Jahre wie Video und Performance, die den Künstlerinnen die Möglichkeit gaben sehr unmittelbar, unabhängig und manchmal auch schnell zu produzieren. Hier sei nur auf die Serie „Bus Riders“ von Cindy Sherman verwiesen, in der sie mit ihrer Kunst der Verwandlung in alltägliche Typen von Fahrgästen eines Linienbusses schlüpft. Mithilfe des Selbstauslösers, unabhängig von anderen Arbeitsschritten, entsteht eine legendäre Fotoserie.

Geht man durch die Ausstellung, so kann man feststellen, dass verschiedene Künstlerinnen an verschiedenen Orten zu ähnlichen ästhetischen Lösungen kamen. Hier seien die Mittel „Körper mit Glasscheibe“ als Darstellung erwähnt. Die ursprünglich kubanische Künstlerin Ana Mendieta drückte 1972 eine Scheibe an ihre Brüste und suggeriert damit eine nahende Verletzung. Auch von der Amerikanerin Francesca Woodman gibt es eine Schwarz-Weiß-Aufnahme, wo eine ähnlich große Glasplatte ihre Brust touchiert.

Um diesen Gedanken weiter zu spinnen: Sowohl von Ana Mendieta als auch von der Österreicherin Birgit Jürgenssen gibt es Aufnahmen in denen sie ihr Gesicht an eine Glasplatte drücken. Bei Mendieta sieht man ein stark verschobenes und an die Platte gepresstes Gesicht, das verzerrt wirkt. Bei Jürgenssen ist es nur die Wange die aufliegt und man muss schon genau hinsehen um die Glasplatte zu erkennen. Die Künstlerin ist mit einer bürgerlichen Bluse mit Kamee bekleidet und auf der Glasplatte steht mit kaum sichtbarer Schrift: „Ich möchte hier raus!“

Wenngleich Mendietas und Jürgenssens Darstellungen und Aussagen in der unmittelbaren Intensität variieren, so ist doch beiden das Thema eines Gefängnisses gemeinsam. Das Suchen nach einem Fluchtweg aus dem „vermeintlichen (häuslichen) Idyll“ und an der „gläsernen Decke“ zu scheitern ist sicherlich ein wesentliches Motiv der weiblicher Kunst der 50er bis 70er Jahre. (1) Solche inhaltlichen Parallelen in Motiv und Darstellung sind in der Ausstellung immer wieder zu entdecken und machen auch den Reiz der Schau aus.

Dass man 1974 auch noch viel heftiger formulieren und die weibliche Sexualität aggressiv besetzen konnte, zeigt die Arbeit von Lnyda Benglis, die mit nacktem eingeöltem Körper, nur bekleidet mit einer Schmettleringssonnenbrille, sich einen Doppeldildo an die Scham hält. Damit nimmt Sie als Frau eine männlich konnotierte Pose ein. Das Bild erschien als Annonce zu Benglis Ausstellung im Artforum und löste einen Sturm der Entrüstung aus. In der nächsten Ausgabe distanzierten sich einige Mitherausgeber von dieser Arbeit und verdammten sie als vulgär. Diese Fotografie war aber für viele Künstlerinnen eine Initialzündung. Als Cindy Sherman diese Abbildung sah, gab ihr das - ihrer eigenen Beschreibung nach - einen frauenspezifischen kreativen Schub. Benglis hatte mit dieser Darstellung das Machoimage der männlichen Sexualität der weiblichen kurz geliehen. Bis heute ist diese Fotografie auf den ersten Blick verstörend.

In der dreizehn Jahre andauernden Sammlungstätigkeit des Stromversorgers Verbund ist eine bemerkenswerte Sammlung von feministischer Kunst entstanden. Die Ausstellung im mumok gibt einen Einblick in das zusammengetragene Material. Nicht zu vergessen sind die regelmäßigen Buchproduktionen der Sammlung, die die Möglichkeit geben sich vertiefend mit dem Thema und einzelnen Künstlerinnen auseinander zu setzen:
Hingehen und Ansehen!

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Ein literarische Bespiel dieser Zeit wäre Marlene Haushofers Roman „Die Wand“ schon 1963 erschienen.

Mehr Texte von Susanne Rohringer

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Woman - Feministische Avantgarde der 1970er-Jahre aus der Sammlung Verbund
06.05 - 03.09.2017

mumok - Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien
1070 Wien, Museumsquartier, Museumsplatz 1
Tel: +43 1 52 500, Fax: +43 1 52 500 13 00
Email: info@mumok.at
http://www.mumok.at
Öffnungszeiten: Täglich: 10.00–18.00 Uhr, Do: 10.00–21.00 Uhr


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