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Die Geschichte der Version “O”.

In memoriam John Berger


Eugène Delacroix: Die Frauen von Algier, 1834, Öl auf Leinwand, 180 x 229 cm, Louvre, Paris


Pablo Picasso: Die Frauen von Algier, Version O, 1955, 114 x 146,4 cm, Privatbesitz, © Bildrecht, Wien 2017

Eigentlich ist es nur das schwarze Rund, das die Herkunft anzeigt. Man findet das Detail mittig im oberen Bilddrittel. Auf einem kleinen Dreieck sitzt eine Kugel. Links erhebt sich ein Arm, braun eingefärbt und mit der Kubatur einer zackigen Verpackung. Die Kugel nistet auf der schiefen Ebene. Daneben steht ein körperhoher Spiegel. In ihm zeigt sich die Silhouette der ganzen Figur. Das schwarze Rund, ihr Kopf, ist weißlich geworden, der üppige Busen, auf dem er sitzt, von vorne zu sehen. Nach gut 120 Jahren legt Picasso das Motiv freizügiger aus. In der ursprünglichen Version von Eugène Delacroix ist die Stehende bekleidet. Delacroix malt die “Frauen von Algier” 1834 unmittelbar nach der Eroberung des Landes. Eigentlich ist er mit dem Kriegstross unterwegs, um Siege und neue Kolonialreiche zu dokumentieren. Doch er endet in der Darstellung schwüler Haremsgemächer und einer schwarzen Sklavin. Die dunkelhäutige Frau wendet sich von der Bildmitte ab, so als wollte sie den gelangweilten Raum verlassen. Die linke Hand hält sie zum Gruß oder in einer tänzerischen Gebärde erhoben. Picasso gibt die Bewegung in einer sperrigen Kastenform wieder. Zaha Hadid hätte sie erfinden können. Den wichtigsten Blick in dem Bild Delacroix’ fordert eine Liegende ein. Sie sieht uns an, ohne uns sehen zu können. So versinnbildlicht sie die Ambiguität des begehrenden Blickes, von der der große John Berger spricht. Picasso ersetzt sie durch eine stehende Frau am linken Bildrand, die ebenfalls direkt Kontakt aufnimmt. Gesicht, Decolleté und herab hängender Schleier sind in blauen und giftig grünen Linien umrissen. Darunter strahlt eine gipserne Haut. Nur die unteren Kleiderfalten werden von den Kuben zersplittert. Die elegante, fast königliche Frau erscheint in einer zweiten Realität. Unversehrt steht sie neben den Kanten und Kuben der verschachtelten Raumteile, so als gäbe es neben dem Kubismus, der die Moderne bedeutet, auch noch einen Klassizismus, der sie zeitlos überdauert und überwacht. Das Gemälde stammt aus einer Serie von insgesamt 15 Gemälden aus dem Zeitraum 1954-55. Sie werden üblicherweise mit den Buchstaben A bis O gekennzeichnet. Picassos Kunsthändler Daniel Henry Kahnweiler erwirbt alle Bilder zum Preis von 212.500.- $. Das letzte Bild der Serie, bekannt unter dem Titel “Version O”, wird im Mai 2015 für 175 Millionen bei Christie’s versteigert. Der Schätzpreis liegt bei 40 Millionen Dollar. Es wird zum teuersten je versteigerten Picasso. Der Käufer ist der ehemalige Premierminister von Qatar. Allein deshalb wird es weiter der Öffentlichkeit versperrt sein. Nur wenige Monate bevor sich Picasso am Valentinstag des Jahres 1955 das Sujet Delacroix’ vornimmt, erscheint in Frankreich die “Geschichte der O”. Es ist ein pornografischer Roman, in dem die Rituale von weiblicher Unterwerfung und sexueller Fügung beschrieben werden. Er wird trotz der sadomasochistischen Handlung von der Kritik gerühmt, mit Preisen bedacht und sogar von Susan Sontag gelobt. Später wird sich Arthur Danto, Kunsttheoretiker und analytischer Philosoph über den Roman Gedanken machen, allerdings erst in einer Zeit, als gewöhnliche Gegenstände zu Kunstwerken werden, wie Verpackungsschachteln, Pin-ups und Konservendosen. Es ist die Zeit, als Konsumgüter zu Artefakten geadelt werden. Picasso bereitet diese Entwicklung vor. Seine “Frauen von Algier” gelten manchen als Vorläufer der Pop Art. Und tatsächlich. Der Maler entkleidet die exotischen Dargestellten. Er schafft die Atmosphäre eines Ateliers und lässt sie darin wie Odalisken bei Ingres posieren oder offenherzig am Boden räkeln. Der Vorwand für Nacktheit, Peep- und Plakat-Ästhetik ist die Historie der Kunst. Und natürlich sein Genie. Und dennoch ist es zweifellos ein erotisches und exotistisches Gemälde, das von einem männlichen Blick für einen männlichen Blick komponiert ist und nichts weiter als jene Klischees bestätigt, die schon Delacroix in einem Harem zu finden hoffte und wohl mehr in seiner Fantasie fand. Vor diesem einschlägigen Begehren werden soziale Unterschiede eingeebnet, die menschlichen Motive zur Ware, die Frau einer Passivität ausgeliefert und die ethnische Zugehörigkeit auf eine Anekdote in Kugelform verkleinert. Aus einem historischen Vorbild ist ein kulinarischer Vorwand geworden. Das Bild der Frau ist verdinglicht (“objectified”, John Berger) und die Moderne um eine verlorene Chance ihrer Kritik reicher. Ist das der Grund, warum das Bild so teuer wurde? Die zweite Episode von John Bergers BBC-Serie “Ways of Seeing”, 1972 behandelt den Blick auf die Frau John Berger starb am 2. Januar 2017.

Mehr Texte von Thomas D. Trummer

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