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Skandal normal?: Skandal oder normal?

Als Edouard Manet 1863 im Pariser Salon sein Gemälde „Olympia“, angelehnt an Tizians berühmte „Venus von Urbino“, präsentierte, löste er einen der größten Skandale in der Kunstgeschichte aus. Denn Manet malte nicht die nackte Venus mit ihren typischen Attributen im Bildhintergrund, sondern setzte hinter die selbstbewusste junge Venus eine schwarze Prostituierte. Ein Versuch, sich mit den alten Meistern zu messen? Oder gar ein Wink auf Anerkennung und öffentliche Präsenz? Und solch ein Statement in einer der wichtigsten Kunstausstellungen, die unter Ludwig XIV. zwar noch als Propaganda der höfischen Kunst diente, aber dennoch bis Mitte des neunzehnten Jahrhunderts Grundvoraussetzung war, als Künstler in Frankreich Fuß zu fassen. Wollte Manet damit ein Zeichen setzen und das herkömmliche System und somit auch die akademische Tradition in Frage stellen? Obwohl das Werk so starke Kritik unter den Zeitgenossen auslöste, gilt es dennoch als Wegbereiter der Moderne.

Fast ein Jahrhundert später erlaubte sich Hermann Nitsch einen Fauxpas, indem er 1966 in seiner „Ersten Heiligen Kommunion“ Blut eines Opferlamms und Menstruationsblut verwendete, weshalb er wegen „Verunglimpfung religiöser Symbole“ zu sechs Monaten bedingt verurteilt wurde. Das war ein klares „Berufsverbot“ für den Aktionisten, der für die nächsten zehn Jahre nach Deutschland auswanderte. Aber dennoch stellt sich die Frage, ob diese Form der künstlerischen Freiheit zulässig ist. Und inwiefern diese Art der Kunst beleidigend und diskriminierend gegenüber Gläubigen ist, die über den Missbrauch der Kreuzigungsszene Jesu empört sind.

Nur vier Jahre später hinterfragte Valie Export mit ihrem „Tapp- und Tastkino“, einem Kasten mit zwei Öffnungen, den sie am Oberkörper tragend in Begleitung von Peter Weibel in den Straßen von München zur Schau stellte, den herkömmlichen Kinoraum und konfrontierte ihr Publikum direkt mit dem Voyeurismus. Ein Statement, das zur Zeit der zweiten Welle der Frauenbewegung nicht nur mutig sondern auch provokant und entblößend zugleich war. Denn schließlich kämpfte man nicht nur um Gleichberechtigung, sondern vor allem gegen sexuelle Unterdrückung. Ein provokativer Akt zum Mittel des Zwecks?

Genau solchen Skandalen, 39 an der Zahl, ob historisch oder gegenwärtig, widmet sich die Ausstellung im Linzer OK. In fünf Themengebieten gibt sie einen Einblick in die unterschiedlichen Strategien, die Künstler nutzen, um mediale Aufmerksamkeit zu erlangen. Der erste Raum der Ausstellung befasst sich unter dem Stichwort „Gesellschaft in medialer Geiselhaft“ mit unserer Abhängigkeit von den Massenmedien des 21. Jahrhunderts. Der italienische Konzeptkünstler Paolo Cirio und der Medienkritiker Alessandro Ludovico verwenden in „Face to Facebook“, ohne im Voraus um Erlaubnis zu fragen, eine Million Profile für ihre eigens kreierte Online-Partnerbörse www.lovely-faces.com. Das Projekt versteht sich als kritische Reflektion zu den Themen Datenschutz und Privatsphäre, indem es die gleiche Strategie verwendet, mit der Nutzer ihre Rechte an Facebook abgeben.

Im „Verhüllungsraum“ finden sich umstrittene Kunstwerke in kleinen, verschließbaren Kabinen wieder. Es werden Arbeiten von Marcus Geiger, Valie Export, Wolfgang Flatz, Gelitin und Marco Evaristti gezeigt. So lotete Geiger 1998 die Grenzen der Toleranz innerhalb des Kunstsystems aus, indem er die Fassade der Wiener Secession vor ihrer Renovierung schlampig rot anmalte. Und gar zu weit ging der chilenische Künstler Evaristti mit seinem Verstoß gegen das Tierschutzgesetz: In der Installation „Helena“ - zehn lebendige Goldfische in einsatzbereiten Standmixern – ließ er den Besuchern des Kunstmuseums Trapholt (Dänemark) die Wahl, den Einschaltknopf zu betätigen, was zur Folge hatte, dass in den nächsten Tagen sechzehn Fische starben und Künstler und Museumsdirektor wegen Tierquälerei angeklagt wurden. Der versteckte Höhepunkt des Raums ist wohl ein Print Damien Hirsts berühmten 75-Millionen-Euro-Totenkopfs aus Platin, Diamanten und echten Zähnen, der auf der Wand in unerreichbarer Höhe platziert wurde.

Der dritte Raum beschäftigt sich mit ironischen Protestaktionen zu politischen und wirtschaftlichen Themen, so etwa Schlingensiefs Container „Ausländer Raus!“ oder eine aktuellere Arbeit des Künstlerkollektivs ÜBERMORGEN, die in Anspielung auf die europäische und österreichische Asylpolitik ein gefaktes „Asylabwehramt“ mit Schreibtisch, Dokumenten, Webauftritt etc. nachbauten. Weiter geht es durch „Viel Lärm um Nitsch“ (oben genannte Arbeit) in den zweiten Stock zu „Sex Sells“ – der nackte Körper als Marketinginstrument. Es werden Arbeiten der Guerrilla Girls („Do women have to be naked to get into the Met. Museum?“), Ausstellungsplakate (wie „nackte männer. von 1800 bis heute“ im Leopold Museum) oder David LaChapelles gestaltetes Werbeplakat für Nebenveranstaltungen des Life Balls präsentiert. Der letzte Raum widmet sich künstlerischen Arbeiten, die ihren Schwerpunkt auf Themen wie Globalisierung, Migration, Meinungsfreiheit, Gleichberechtigung von Homosexuellen und Frauen, Toleranz gegenüber anderen Glaubensrichtungen oder westliche Werte zum Inhalt haben.

Ergänzend zu den präsentierten Werken kann man sich anhand einer umfassenden Chronologie einen Überblick über die 67 größten Kunstskandale seit 1900 verschaffen. Und einen pädagogischen, partizipativen Ansatz bietet die von „eSeL“ (Lorenz Seidler) und Genoveva Rückert (OK) kuratierte Ausstellung auch noch: Denn jedem Besucher steht es offen, sein eigenes „Urteil“ – „Skandal“ oder „normal“ – zu den einzelnen Arbeiten via Post-its abzugeben. Die Ausstellung ist noch bis 30. April im OK in Linz zu sehen!

Mehr Texte von Désirée Hailzl

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Skandal normal?
02.12.2016 - 30.04.2017

OK Linz
4020 Linz, OK Platz 1
Tel: + 43 732 7720-, 52502
Email: info@ooelkg.at
http://www.ooekultur.at
Öffnungszeiten: Di, So, Fei 10-18 h


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