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Edel, teuer – aber gut?

Die leicht schäbige Eingangssituation der Frieze London ist ein Relikt aus früheren Jahren. Als das Zelt noch neu und die Frieze Art Fair noch aufregend war, konnten der Tunnel und der Kasernenton des Sicherheitspersonals vielleicht als hinnehmbar gelten. Schließlich ging es um cutting edge - da darf man keine Ansprüche stellen. Inzwischen ist die Frieze London allerdings zu einer Frieze Masters in Weiß mutiert. Unerwartetes wird hier kaum verhandelt, es geht um Blue Chips und Investment - oder Spekulation. Das Gedränge an Ständen wie dem von Hauser & Wirth, die ihre weiträumige Koje als "L'atelier d'artistes" mit Werken ihrer Stars vollgestellt haben, ist ausreichend Beleg dafür, dass am oberen Ende des Marktes immer noch Geld verdient wird. Aber schon an den Preisen lässt sich ablesen, dass die Frieze keine Entdeckermesse am Puls des zeitgenössischen Diskurses ist. Monumentale Hochglanzskulpturen von Anish Kapoor, eingelegte Tiere von Damien Hirst, pöbelnde Gartenzwerge von Paul McCarthy - immer wieder schön, immer wieder teuer, immer wieder öde. Aber in unsicheren Zeiten eine sichere Bank. Diesseits von Basel funktioniert dieser Markt in Europa nirgendwo so gut wie in London, und wenn die britische Politik doch noch so viel gesunden Menschenverstand besitzen sollte, ihre Stammtischparolen nicht in Gesetze zu gießen, wird das wohl auch bei einem EU-Austritt so bleiben. Kamel Mennour scheint zumindest fest daran zu glauben. Er ist der erste kontinentaleuropäische Galerist, der sich nach dem Referendum zur Eröffnung einer Filiale in London entschlossen hat. London sei einfach der internationalere Marktplatz als Paris. Die düster gerakelten Gemälde und Skulpturen aus zerschlagenen Glocken aus einer Einzelpräsentation von Latifa Echakhch sind zur Eröffnung bei Preisen von 50.000 bis 80.000 Euro komplett verkauft - an eine internationale Sammlerschaft, die er so in Paris vielleicht nicht erreicht hätte. Die identische Schau in der Galerie soll ebenfalls ausverkauft sein. Macht über eine Million Euro Umsatz. Echakhch ist Jahrgang 1974. Secundino Hernandez, gefeierter Malerstar aus Spanien ist 40. Das eine Gemälde von ihm am Stand der Galerie Krinzinger aus Wien würde 48.000 Euro kosten. Wenn es denn zu haben wäre. Es gebe eine Warteliste, und die sei sehr lang, wird erklärt. Der Künstler habe nämlich keinen besonders großen Ausstoß. Lediglich rund fünf Gemälde im Monat. Macht eine Viertelmillion Umsatz im Monat. Da kann einem schon schwindlig werden bei so viel wertvoller Zeitgenossenschaft. Tatsächlich jetzt schon museale Arbeiten sind mitunter deutlich preiswerter zu haben. Ein großes Portraitfoto von Clegg & Guttmann aus den 80er Jahren kostet bei Gerog Kargl aus Wien nicht einmal die Hälfte der gehypeten aktuellen Produktion von Künstlern mit spärlicher Institutionspräsenz. Die Frieze London trägt dem mit der Abteilung "The Nineties" Rechnung. Ein Vierteljahrundert Abstand zum Herstellungsdatum soll Sicherheit vermitteln. Daniel Buchholz zeigt eine Rekonstruktion der ersten Galerieausstellung von Wolfgang Tillmans von 1993 in einem rückwärtigen Raum des Kölner Antiquariats Buchholz, die in ihrer Gänze bei einem Preis von 400.000 Euro von einem deutschen Museum reserviert wurde. Jedoch gehören historische Positionen eigentlich auf die Frieze Masters. Ganz junge Kunst ist auch zu sehen, spielt wirtschaftlich aber kaum eine Rolle. Das bestätigt Gregor Staiger aus Zürich, der im nach wie vor am Zeltende abgestellten "Focus"-Sektor die bleichen Kevlar-Abgüsse industrieller Ersatzteilformen von Rachal Bradley zu Preisen von 1.000 bis 8.000 Euro zeigt. Der Verkauf sei nicht das primäre Ziel seiner Teilnahme. Es gehe vielmehr darum, die britische Künstlerin, die keine Galeriepräsenz auf der Insel hat, bei Kuratoren bekannt zu machen. Das habe gut funktioniert, erklärt er und bestätigt damit ein verrutschtes Messemodell, das junge Galerien dazu zwingt, ihre Teilnahme als Marketinginstrument zu betrachten, während etablierte Kollegen hier nach wie vor einen Großteil ihrer Umsätze generieren. Aus der Frieze Masters wiederum will einfach keine kleine Tefaf werden, wie ursprünglich angepeilt. Das Präsentierte rückt auf der Zeitleiste immer weiter nach vorne und wird immer weltlicher. Außereuropäische und antike Kunst schlagen sich noch ganz wacker. Doch mit christlicher Kunst des Abendlandes scheint nicht nur in London kein Blumentopf mehr zu gewinnen zu sein. So setzt Richard Green aus London statt auf Alte Meister und das 19. Jahrhundert vor allem auf Henry Moore, Ben Nicholson und Bridget Riley. Sogar Design hält durch die Hintertür Einzug. Für die "Collections" genannte Sektion hatte Kurator Sir Norman Rosenthal Carte Blanche. Auf diese Weise kommen Jugendstil-Keramiken mit der New Yorker Galerie Jason Jacques (bis 230.000 Dollar) ebenso auf die Frieze Masters wie De Stijl-Möbel mit Ulrich Fiedler aus Berlin. Wenn bei ihm ein unikater Tisch aus einer Zusammenarbeit von Gerrit Rietveld und Willem van Leusden in traumhafter Erhaltung und Top-Provenienz 220.000 Euro kostet, wird deutlich, worin die Attraktivität gegenüber ähnlich bepreister Neuware besteht. Wienerroither & Kohlbacher aus Wien wagen ein Experiment, dessen Tragweite über den eigenen Stand hinausreicht: Sie hängen ein Frauenportrait (auf Papier) Ernst Ludwig Kirchners von 1910 neben einen Kopf von Jean-Michel Basquiat - 150.000 Euro gegen 10 Millionen Euro. Vielleicht ist es an der Zeit, das Konzept der zwei Messen zu überdenken und die Reihe der über 300 Aussteller in beiden Zelten - mit zahlreichen Überschneidungen - einzudampfen, um auf ein zu bewältigendes Maß zu kommen und etwas konsistentere Kriterien anlegen zu können. Allerdings müssten sich dann einige Anbieter von zeitgenössischem Edelkitsch möglicherweise warm anziehen. -- Frieze London Frieze Masters 6. - 9. Oktober 2015 Regent’s Park, London friezelondon.com friezemasters.com
Mehr Texte von Stefan Kobel

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