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Jüngstes Gericht

Wer einen solchen Himmel gesehen hat, braucht von der Hölle nicht mehr zu reden. Das „Jüngste Gericht“, das sich mit dem Künstlernamen Hieronymus Bosch verbindet, ist, neben Tizians spätem „Tarquinius und Lucretia“, das Hauptwerk der Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste in Wien. Auf ihre Weise versuchen sie dort, dem Gedenkjahr des düsteren Dämonologen zu entsprechen, der vor 500 Jahren gestorben ist. Sie veranstalten eine Ausstellung unter dem schönen Titel „Drohnen im Paradies – Eine alltägliche Apokalypse“, sie geht noch bis 9. Oktober.


Weltgerichtstriptychon, Innenseite. Anm: Auf der Website der Gemäldegalerie lässt sich das Gemälde online per Lupenfuktion erforschen

Natürlich ist sie eine Marginalie gegenüber dem Blockbuster, der soeben, am Sonntag, im Prado abgeschlossen worden ist. Über 580.000 Besucher haben dem Haus einen neuen Besucherrekord beschert. Zusammen mit den 420.000 auf der ersten Versuchsstation des Weltuntergangs, in des Meisters Geburtsstadt 's-Hertogenbosch, ergibt das eine wunderbar runde, fast schon allzu griffige Million. Inferno und Ekstase gehen ineinander über, das weiß das Publikum zu schätzen. Oder anders, mit Jean-Paul Sartre, gesagt: „L'enfer c'est l'autre“. Am beliebtesten herrscht Hölle dann, wenn auch die anderen etwas davon merken. Dabei mag kein Bild außer-, über- oder lieber unterirdischer Gewalt den Heutigen so fremd erscheinen wie die Nahsicht in die endzeitliche Strafkolonie des Hieronymus Bosch. Um 1500 entstanden, übertrifft das Wunderwerk alles an Bizarrerie und Phantastik, wirkt es bisweilen modern durch seine Surrealität und Albtraumhaftigkeit, und ist es zugleich dem finstersten Mittelalter verhaftet durch die Selbstverständlichkeit, die schiere Teilnahmslosigkeit und offenbare Akzeptanz, mit der hier die Exekutionen abrollen. Um reine Skurrilität zu sein, spielt sich das Geschehen zu deutlich in einer Atmosphäre des Erwarteten ab. Die Gesichte tragen zu augenscheinlich Gesichter. Das Wiener Triptychon war nicht in der niederländisch-spanischen Gemeinschaftsproduktion. Es gilt als Werkstattarbeit, doch eine solche Zuteilung ist im Vorfeld auch bis dato als Hauptwerken erachteten Tafeln passiert. Wie immer in diesen Fällen gibt es jemanden, der es anders weiß. Derlei Wissen entstammt heute einem „Research Project“. Leider, man muss es sagen, ist eine solche Zu-, Um- und Abschreiberei das einzige, was die wissenschaftliche Kunstgeschichte noch leistet, und auch das nur, weil die Physik und die Chemie und die Materialkunde so gut sind. Doch das wäre ein anderes Thema. Bosch, der Humanist, der internationale Künstler, mag seine Tafeln vordringlich aufs Allegorische hin angelegt, eine moralische Botschaft dingfest gemacht und ein theologisches Argument fixiert haben. Und so werden sie seinen Auftraggebern, vielleicht Spaniens König Philipp den Schönen, gleichfalls eher Schauder als Schrecken zugefügt haben. Jedenfalls waren sie in ihrer Überbordendheit und Fülle an Bemerkenswertem ein perfekter Anlass, über sie zu reden, zu debattieren, sie wertzuschätzen und hochzujubeln. Nichts anderes passiert heute, wenn es um Kunst geht. Gleichzeitig erzählen sie auch von einer Gläubigkeit, die weniger das Räsonnieren über vierfachen Schriftsinn und die Möglichkeiten der Auslegung im Kopf hatte als die Buchstäblichkeit des strafenden Gottes im Herzen. Spätestens seit Dantes „Göttlicher Komödie“ kannte man die Analogien, die in der Hölle hergestellt wurden. Wer im Leben sündigte, zahlte im Jenseits den Preis dafür, körperlich, unermüdlich und vor allem für immer. Die literarisch oder bildnerisch fixierten Aussichten aufs Infernalische ließen sich für bare Münze nehmen, zumindest in den individuellen Momenten des Zweifels und der Verzweiflung gewannen sie purste Präsenz. Was ein Bild wie Boschs „Jüngstes Gericht“ vor Augen stellt, ist ein Ausnahmezustand, der Ewigkeit zu werden droht. Sicherlich meinte Bosch, eine gottlose Welt zu zeigen. Für uns Heutige lassen seine Tafeln dabei nachvollziehen, was passiert wäre, hätte es den Gott, den sich das Mittelalter vorstellte, wirklich gegeben.

Mehr Texte von Rainer Metzger

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