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Flucht vor der Flüchtlingskunst

Jüngst hat Wolfgang Ullrich bei „perlentaucher.de - dem Kulturjournal“ seinen Text „Kunst und Flüchtlinge: Ausbeutung statt Einfühlung“ publiziert. In diesem hat er auch über die Aktion „Flüchtlinge Fressen – Not & Spiele“ des Berliner „Zentrums für politische Schönheit“ geschrieben, genauer: Ullrich hat in seiner selbst erklärten „Analyse“ gut 3/4 der Aktion nicht einmal erwähnt, um die Aktion dann in Gänze wortreich diffamieren zu können. Zunächst sei also kurz besagtes Projekt des „ZPS“ vorgestellt, das, verkürzt formuliert, aus mindestens vier, ineinander verzahnten Teilen bestand. Da war also eine schwarze Box mit einem Tiergehege, in dem wie in einem Zoo vier Tiger leben, direkt neben dem Gehege war eine Monitorwand installiert, auf der sowohl Filme zur Flüchtlingsproblematik wie Live-Übertragungen von Fußball-EM-Spielen zu sehen waren. Dann gab es den Plan mit einem gecharterten Flugzeug Flüchtlinge aus der Türkei nach Deutschland zu fliegen. Dieses war der Kern des Projektes: Um diesen Flug zu ermöglichen, ist die Abschaffung der EU-Richtlinie 2001/51/EG erforderlich. Dazu forderte das „ZPS“ mit seiner Aktion den Deutschen Bundestag auf. Würde dieser die Richtlinie nicht abschaffen, kündigte das „ZPS“ an, sich freiwillig meldende Flüchtlinge den Tigern zum Fraß vorzuwerfen. Der dritte Teil bestand aus einer Internetseite, auf der über das Projekt informiert und Geld für das Chartern des Flugzeuges gesammelt wurde, außerdem konnten die User entscheiden, welche Flüchtlinge mitfliegen würden. Last but not least fanden während der 12 Tage des Projektes jeden Abend Diskussionsveranstaltungen statt, u.a. mit so prominenten Gästen wie z.B. Jakob Augstein. Ullrichs Text nun geht lediglich auf den ersten Teil des Projektes ein, unverständlicherweise hält er weder den Plan des Fluges, die Internetseite oder die Diskussionsveranstaltungen einer „Analyse“ wert! Diesen ersten Teil dann beschreibt er als ein „Reduzieren“ auf ein „tödliches Schockerlebnis“ – ist ihm nicht aufgefallen, dass die Black Box mit den Tigern vor dem Gorki-Theater stand und dass vor ihr immer wieder Männer, verkleidet als römische Gladiatoren, standen, das Ganze sich also überdeutlich als Schauspiel auswies?! Als Fiktion schockte die Aktion daher kaum, provozierte aber sicherlich. Zudem gab es direkt neben dem Gehege besagte Filme zur Flüchtlingsproblematik und als Diskursangebot die abendlichen Diskussionsveranstaltungen - von einem „Reduzieren“ auf ein “Schockerlebnis“ kann also sowieso überhaupt keine Rede sein. Der Plan mit dem Flug, wie gesagt ebenfalls von Ullrich nicht erwähnt, setzt der provokanten und diskursiven Seite der Aktion außerdem eine pragmatische, lösungsorientierte entgegen – „Reduzierung“ der „gesamten Flüchtlingsproblematik“ ...? Bis ins letzte Detail ist dieser Text fehlerhaft, ein Beispiel muss hier genügen: Ullrich unterstellt dem „ZPS“, dem Publikum etwas „Unverwechselbares“ bieten zu wollen – die Möglichkeit auf der Internetseite auszuwählen, wer mit dem Flieger aus der Türkei ausreisen kann, dieses ist ganz offensichtlich ein Schlingensief-Zitat und somit das Gegenteil von „unverwechselbar“. Und beinahe absurd wird es, wenn Ullrich dem „ZPS“ vorwirft die Flüchtlinge „einseitig“ als „verzweifelte“ Menschen darzustellen – hätte er gern fröhliche Flüchtlinge gesehen?? Man kann „Flüchtlinge Fressen – Not & Spiele“ kritisch sehen, aber jede Kritik setzt erst einmal eine ernstzunehmende Wahrnehmung voraus. Diese extrem verkürzte „Analyse“ hier aber ist eines Journalisten nicht würdig, geschweige denn eines Wissenschaftlers. Wolfgang Ullrich gelingt nicht mehr, als sich willfährig zum Sprachrohr frustrierter Kunst-Kunst-Künstler zu machen, denen aktivistische Kunst nun mal stets ein Dorn im Auge ist.
Mehr Texte von Raimar Stange

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