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Viel Neues in Graz- die Diagonale 2016

Gutes kommt manchmal paarweise vor. So besteht die Intendanz des österreichischen nationalen Filmfestivals Diagonale neuerdings aus zwei jungen Männern. Sebastian Höglinger und Peter Schernhuber seien „im besten Außenminister-Alter“, witzelte Christoph Grissemann als Moderator des Eröffnungsabends. Die angesprochene Jugend der Festivalleitung machte sich angenehm bemerkbar, nicht allein in deren Eröffnungsrede, in der etwa in Anspielung auf Tocotronic „im Zweifel für den Zweifel“ votiert wurde, sondern spürbar auch im Relaunch des gesamten Festivals. Machte sich das Duo in seiner einleitenden „Doppel-Conference“ für mehr Geschlechtergleichheit stark, so erhielt ihre Forderung einiges an Nachdruck durch das Programm „Zur Person“, das der Wiener Filmproduzentin Gabriele Kranzelbinder gewidmet war. Neben Screenings einiger von ihr produzierter Filme, darunter der Eröffnungsfilm „Maikäfer flieg“, aber auch „Crash Test Dummies“ (2005), „Taxidermia“ (2006) und der Experimentalfilm „Preserving Cultural Traditions in a Period of Instability“ (2004) stand sie selbst im Rahmen eines Werkstattgesprächs Rede und Antwort über ihre Arbeit. Schön war daran auch, dass derartige Gesprächsveranstaltungen nicht am Rande des Festivals in irgendwelchen unpersönlichen Räumen stattfanden, sondern mitten im Geschehen in der Intimität eines kleineren Kinosaals. Letzteres kam auch der „Revue für Siegfried Mattl“ zugute, einem flamboyanten Vortrag von Drehli Robnig in Erinnerung an den vergangenes Jahr viel zu früh verstorbenen Zeithistoriker, Filmwissenschaftler und Leiter des Ludwig Boltzmann Instituts für Geschichte und Gesellschaft. Wie in Paaren schien auch manches im Programm daher zu kommen: Das kongeniale Pendant zu „Whatever Happened to Gelitin“ über die bekannte, lustige Künstler-Boygroup war zweifelsfrei „MARIA LASSNIG: Es ist die Kunst, jaja ...“, wobei die Titel jeweils schon einiges an Hinweisen nicht nur auf die konträren Persönlichkeiten, sondern auch auf ebensolche Filmgestaltungen nahe legen. Ging es in der Dokumentation „FtWTF – Female to What The Fuck” um die verschiedenen Weisen in denen eine Handvoll von Protagonisten ihre Trans-Identitäten lebt, so holt „FEMME BRUTAL“ den „Club Burlesque Brutal“ und dessen queere Performerinnen vor die Kamera, die ebenso viele unterschiedliche Auffassungen von weiblicher Nacktheit als diskursiver, widerständiger, politischer Geste haben wie sie in ihren Shows Kunstfiguren mit Namen wie Frau Professor La Rose oder Cunt mit prallem, sinnlichem Leben erfüllen. Die Performerin und Künstlerin Katrina Daschner war übrigens auch mit einem eigenen kurzen Film vertreten, „Perlenmeere“, in denen Bilder von der Meeresfauna mit nahsichtigen Aufnahmen von Hautfalten und anderen Körperdetails zu einer Fahrt durch eine amorphe, pulsierende, sinnliche Landschaft montiert wurden. Auch zu diesem Film gibt es gewisser Weise ein Pendant: In „Self“ von Claudia Larcher fährt die Kamera so nah über einen nackten Körper hinweg, dass kleinste Details grotesk erscheinen, aber kein zusammenhängendes Bild mehr herzustellen ist. In der mit dem großen Diagonale-Preis ausgezeichneten Dokumentation „Holz Erde Fleisch“ über Kleinbauern und ihre Söhne geht es in einer sehr persönlichen Weise um die Frage, warum dieser uralte Beruf bis tief in die familiären Beziehungen hineinwirkt. „Einen Bauern, hat mein Vater immer gesagt, kann man nur dann verstehen, wenn man einmal mit ihm im Wald war“, kam dazu aus dem Off. Sigmund Steiner, selbst ein Bauernkind, will verstehen, und zeichnet, indirekt auch auf der Spur des eigenen Vaters, sensible Bilder von Menschen, die ihren Weg gewählt haben. Ein bisschen erinnert diese Suche an den kurzen Film „Mutter von Mutter“ von Amina Handke, in der ihre Mutter, die bekannte Schauspielerin Libgart Schwarz, drei Generationen von Frauen verkörpert: ihre Mutter, sich selbst und ihre Tochter Amina, die Filmemacherin. Auch hier gilt die Befragung den Verhältnissen zwischen den Generationen, aber auch der Rekonstruktion lückenhafter Erinnerungen. Im schon erwähnten Eröffnungsfilm „Maikäfer flieg“ (Regie: Mirjam Unger), einer Verfilmung des bekannten autobiografischen Romans von Christine Nöstlinger, werden das Ende des Zweiten Weltkriegs und die russische Besatzung in Wien aus der Perspektive eines neunjährigen Mädchens erzählt. In „Hannas schlafende Hunde“ von Andreas Gruber („Hasenjagd – Vor lauter Feigheit gibt es kein Erbarmen“, 1994), auch eine Literaturverfilmung, geht es um den mehr als nur latenten Antisemitismus in der oberösterreichischen Provinz in den 1960er-Jahren, den der Zuseher ebenfalls über die Person eines kleinen, diesmal jüdischen Mädchens erfährt. Ein Einzelstück dagegen ist der Festival-Trailer mit dem Titel „TRAILER“ von Sasha Pirker und Lotte Schreiber, siehe unten, in dem die Filmemacherinnen mit feinem Humor und assoziativen Bildern mit dem Medium und dem Begriff des „Trailers“ spielen. Einzigartig waren auch die Filme der historischen Programme im Rahmen des Spezialprogramms „Österreich: zum Vergessen“, etwa die Spielfilme der SYNEMA-Reihe „Das zweite Exil: Emigrierte österreichische Filmschaffende in Ostberlin“. Auch der neue Film von Edgar Honetschläger „Los Feliz“, ein irisierendes Roadmovie mit dreier Kardinälen, einer jungen Italienerin und einer japanischen Shint?-Göttin auf großer Fahrt von Rom nach Hollywood vor gemalten Kulissen, erwies sich wieder als ein Solitär auf der diesjährigen Diagonale. Als schönste Überraschung erwies sich „Die Geträumten“, der erste mit Schauspielern gedrehte Film von Ruth Beckermann, der den großen Diagonale-Spielfilmpreis erhielt. Zwei Darsteller lesen im Wiener Funkhaus aus den Briefen des Liebespaars Ingeborg Bachmann und Paul Celan, die sich 1948 in Wien kennen lernten, hier zwei Monate zusammen waren und einander bis zu Celans Selbstmord 1971 in Briefen umkreisten. In den Lesepausen sieht man die Darsteller Anja Plaschg und Laurence Rupp rauchen und plaudern. Diese Zusammenfassung klingt vielleicht nicht prickelnd, doch was Beckermann damit vorhatte, ist voll aufgegangen: Die Körper der Lesenden werden transparent und geben etwas von den Autoren der gelesenen Texte preis, das nicht darin steht, etwa den Verdacht, dass diese beiden nicht zusammen lebten, um sich einander umso schöner in ästhetischer Form mitteilen zu können, und noch mehr. Es ist dieses Öffnen von Räumen, die sonst verschlossen blieben, das Film als Kunst ausmacht. Alle Preise siehe hier
Mehr Texte von Andrea Winklbauer

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