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Kunstdoktorat

„Der Unterschied zwischen Kunst und Wissenschaft ist nicht der zwischen Gefühl und Tatsache, Intuition und Konklusion, Freude und Überlegung, Synthese und Analyse, Sinneswahrnehmung und Gehirnarbeit, Konkretheit und Abstraktheit, Passion und Aktion, Mittelbarkeit und Unmittelbarkeit oder Wahrheit und Schönheit, sondern eher ein Unterschied in der Dominanz gewisser spezifischer Merkmale von Symbolen.“ Der Unterschied zwischen Kunst und Wissenschaft, so liest es sich hier in Nelson Goodmans 1968 im amerikanischen Original, 1973 dann auf deutsch erschienenen „Sprachen der Kunst“, ist eine Sache der Dominanz und damit ein gradueller, quantitativer, er verdankt sich allenfalls einer Frage der Gewichtung. In späteren Arbeiten, beispielhaft in den „Ways of Worldmaking“ von 1978, auf deutsch „Weisen der Welterzeugung“, wird Goodman die Vorstellung von der gemeinsamen Produktivität ästhetischen und empirischen Arbeitens vertiefen. An der Angewandten in Wien kann man in diesem Sinn jetzt sein „Kunstdoktorat“ machen. Ein solcher, natürlich anglisiert auszusprechender, „PhD in Art“ sei, so wird argumentiert, international schon längst Standard. Institutionellerweise stimmt das nicht, aber im Sinne jener demonstrativ vorgeführten Techniken des Denkens, die einschlägig „Theorie“ heißen, schon. Von der Theorie der Disziplinen her ist es, sagt neben Goodman etwa auch Paul Feyerabend in seinem 1984er „Wissenschaft als Kunst“, eine gelinde Selbstverständlichkeit, dass die beiden Zugangsweisen eben keine zwei Welten darstellen, die fundamental, wesenhaft und prinzipiell voneinander getrennt wären. Die „Texte zur Kunst“ widmeten ihr Heft Nummer 82 im Juni 2011, also vor mittlerweile auch schon fast fünf Jahren, eben dem Thema „Artistic Research“. Tom Holert lieferte in seinem Editorial ein paar Begriffe, deren Übernahme sich anbot, um zu skizzieren, was damit beabsichtigt sein könnte. Das Verfahren sei „strategisch“, so Holert; es bediene sich unter anderem folgender Instanzen und Arbeitsweisen: „Netzwerke“, „Kollaborationen“, „Transdisziplinarität“, „Essayistik“, „Relationalität“ sowie „Offenheit“; das Ganze laufe hinaus auf „Prozessualität, Praxis, Poetizität“. An dieser Stelle, angesichts des in der letztgenannten Trias überbordenden Hangs zur Alliteration, zeigte sich, dass vielleicht doch ein Problem besteht: Wenn das Argument in Rhetorik ertränkt wird, dann hapert es wohl ein wenig mit seiner Vitalität (in seinem Text versteigt sich Holert gleich noch hoch zur Formulierung „Ontologische Oden und epistemologische Etüden“). Mit der Moderne gibt es keine materiellen oder gar wesenhaften Signaturen von Kunst. Das einzige, was das Verwechselbare unverwechselbar macht, ist die Option auf Exorbitanz. Wenn etwas als Kunst firmiert, hat es den Status der Besonderheit. Ein anderes Wort dafür ist Privileg. Die Privilegien, die die modernen Gesellschaften der Kunst nicht nur zugestehen, sondern in ihnen die letzten Signaturen sehen, die sie als Spezifika noch besitzt, gibt es in vielerlei Hinsicht: Ökonomisch gesehen erklären sie die Preise, soziologisch gesehen das Prestige oder lebenspraktisch gesehen die Zuteilung eines Sinnüberschusses. Nicht zuletzt gehört, spätestens seit dem Beginn der Avantgarden, zu diesen Privilegien die Prätention aufs Politische. Wie es aussieht, ergibt sich in letzter Zeit das Postulat zu einem neuen Privileg: Es wissenschaftlich zu meinen.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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