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ARCO 2016: Verwunschene Pfade durch das Dickicht der Vielfalt

Es ist eine große Fläche, die es auf dieser, der 35. Arco zu durchmessen gilt. Fast ohne wirkliche Orientierungspunkte. Doch auch im Dunst des Zahlreichen, lassen sich bald Leitmotive als gewollt oder ungewollt zum Thema erhobener künstlerischer Positionen orten. Trotz der gebotenen Vielfalt gibt es einige augenscheinliche Häufungen. Qualitativ wie quantitativ. Viele großformatige Malereien des Österreichers Herbert Brandl, (Galerie Nächst St. Stefan, Wien bis Filomena Soares, Lisboa-Portugal) und dem venezolanischen Künstler Carlos Cruz-Dies, dessen Werke in über zehn auf dieser Arco vertretenen Galerien zu sehen sind, fallen zum Beispiel auf. Die beiden Positionen könnten nicht unterschiedlicher sein. Die neoexpressionistische, großformatige Malerei Herbert Brandls und die konstruktivistischen, dreidimensionalen Bilder eines Künstlers, aus einer vollkommen analogen Epoche stammend, der den Wahrnehmungsexperimenten des Digitalen huldigt. Nicht nur Kalkül sondern auch Unterbewusstsein steuert das Angebot. Beide leben im Rahmen eines durchdachten Ausstellungskonzeptes auf. Dies zeigt sich auf dieser ARCO besonders eindrucksvoll. Während die eigentlichen Galeriestände durchaus in Richtung eines marktkonformen, sehr gut sortierten Gemischwarenhandels schieben, die Verkäuflichkeit des Angebotenen maßvoll im Auge, zeigen viele der anlässlich des 35 Jahre Jubiläums von der Messe kostenlos zur Verfügung gestellten Ausstellungszimmer unter dem Motto "Artistas en 35 Aniversario" sehr schlüssig ausgewählte Positionen von ein oder zwei KünstlerInnen, ohne dass sich deren Marktwert in den Vordergrund drängt. Vielleicht sind die dort gezeigten Werke schlechter verkäuflich, doch was und wozu Kunst da ist, wird dort, wo inhaltlich gestrafft wird, tief greifend sichtbar. Im "Vitriolkabinett", 1966-2012 von Günther Brus vereint mit "Painting with a plastic", 2016 von Angela del la Cruz (35 Aniversario-Galerie Krinziger, Wien) Die Auflehnung gegen das erstarrte System bringt Selbstverletzung und reißt das Durchsichtige von der Leinwand. Oder die zum Gesamtkunstwerk arrangierten Werke von Artur Lescher und Gabriel de la Morra (Galerie OMR, Colonia Roma-Mexico) als Boten einer verlorenen Zeit, voll wunderschöner und selbstsicherer Dinge. Nie aufgeblasen, von ebensolcher Grundästhetik. Die wenn, dann nur beiläufig etwas sagen wollen. Der Beitrag ist auch einer jener wenigen, wo Kunst gleich von der Decke hängt. Ähnlich poetisch das 35 Aniversario-Arrangement der Galerie Nordenhake, Berlin und Stockholm. Spencer Finchs "Shadow of Orange Tree (After Lorca)" Der Versuch den Lauf der Zeit und ihres Schattens bildlich festzuhalten, schließt im Zwielicht. Großartig. Poesie und Melancholie sind auf dieser ARCO öfters anzutreffen. Dies ist auch nicht verwunderlich. Hat sich doch in der verstrichenen Mikroepoche klar gezeigt, dass in uns selbst längst vollendete Transformationen einem irreparablen Gesamtsystem gegenüberstehen. Zwei unterschiedliche Zeiten, dessen Reibungsverluste auch schwerwiegende ökonomische Auswirkungen zeigen. Im Land dieser Schau, ganz besonders. Entsprechend gedämpft ist die Nachfrage Spanischer SammlerInnen, wie zu vernehmen ist. Ausländische Kundschaft muss diese Lücke füllen. Bleibt abzuwarten, ob sie dies auch tut. Messebesucher sprechen hier mehrheitlich Spanisch, was immer dies auch über ihre Herkunft sagen kann. Klassisch Gutes aus dem Kochtopf der Malerei, tritt in Hülle und Fülle und dementsprechender Vielfalt auf. Groß und Kleinformatig. Von Großformatigem, dass sich augenzwinkernd vergangener Epochen bedient, zieht das Blumenbild "o.T" von Stefan Muller (Galerie Heinrich Ehrhardt, Madrid-Spanien) vielschichtig an. Hippe Neuklassiker von Alex Katz (Thaddaeus Ropac, Salzburg) oder Fotoarbeiten von Richard Mosse (Galeria Leyendecker, Santa Cruz de Teneriffe-Spanien) scheinen sich, schenkt man den roten Punkten Glauben, gut zu verkaufen. Im Gesamten, erscheinen jedoch Arbeiten auf und mit Papier mindestens ebenso zahlreich vertreten. Dies verleiht der Schau eine gewisse Leichtigkeit, wie man es in Acrylmalereien auf Papier "Untitled", 2015 von Flavio Garciandia (Mai36 Galerie, Zürich-Schweiz) erleben kann. Qualitätsvolle stromabhängige Video- oder Lichtkunst gibt es. Zum Beispiel von Brigitte Kowanz (bei Krobath, Wien) oder Stefan Brüggemanns "Conceptual Decoration" 2011 (Galerie Parra & Romero, Madrid-Spanien) Die Mehrheit der Werke lebt jedoch von Eigenenergie, klassisch gehängt oder gestellt. Das was hängt oder solches zeigt, gehört mit zum Interessantesten. In allen Formaten. Fotoarbeiten von Robert Kinmont "Plumb Bob" 1973-2014 (Alexander and Bonnin, New York-USA) oder ein Video des Peruanischen Künstlers Antonio Paucar (Galerie Barbara Thumm, Berlin-Deutschland) Die meisterhafte Verdichtung inhaltlicher Substanz in einem immateriellen Format. Ein mit den Füßen an einem Baum Gebundener und in einem Wollkokon lebendig Mumifizierter löst Faden für Faden seiner Hülle. Ein Höhepunkt. Eines der, in dieser Schau häufig anzutreffenden Formate ist die Bildgeschichte, in Standbilder zerfallene Filme, oder ein Ganzes bildende Ansammlungen von Einzelwerken. Möglicherweise Unerzählbares findet im Format des Einzelwerkes keine Erfüllung. Ein schönes Beispiel dieses Formats ist das Werk "Downey Yanomami (De Transamerica Vzla) Serie 1-3" des in Chile lebenden venezolanischen Künstlers Christian Vinck (Carmen Araujo Arte, Caracas-Venezuela) Beklemmend politische Bildgeschichten auf der Suche nach dem Ausweg. Was hier, wohl solidarisch mit dem Spanischen Gastland eher rar ist, ist Witz, Humor und Ironie. Damit hat man es in Monarchien, Großbritannien ausgenommen, ja nicht so sehr. Doch es gibt sie. Drei signierte Teller "Three Picassos", 2016 von Luca Bertolo (Arcade Gallery, London-UK) oder das Büchlein "Malerisch-Malevich", 2015 von Pavel Büchler (annex14-Raum für aktuelle Kunst, Zürich-Schweiz) bilden den Auftakt. Die Aquarelle "Araber, Chinesen, Griechen, Pariser und Mallorquiner, die auch schon mal besser aussahen (früher).", 2014 von Tobias Rehberger (Galerie Bärbel Grässlin, Frankfurt-Deutschland) setzten würdig fort. Plakativ Installatives ist in der Minderzahl, jedoch vorhanden. Diesbezüglich zeigen sich Italienische Beiträge als übersehenswert. Hymnen des schlechten Geschmacks sind vereinzelt zu hören. Im Sinne von Widerspenstigkeit könnte es mehr davon geben. Dort wo diffizile, künstlerische Kommentare zum Zustand der Welt, den Vordergrund bilden, wird es generell sehenswert. Die Suche nach Wurzeln, nach Erdverbindung ist selten auszumachen. Am ehesten noch in den berührenden Textilarbeiten von Caroline Achaintre (Arcade Gallery, London-UK) oder den alles umarmenden Arbeiten von Geta Bratescu (Ivan Gallery, Bucharest-Romania) Dort wo man sie als Europäer eher vermuten würde, in der Südamerikanischen Welt, waren sie nicht zu finden. Wird oder wurde die Geiselnahme durch scheinbar unveränderbare Systeme besonders drückend empfunden, bildet die Suche nach Ausstiegsstrategien oder Antworten voll Schmerz und beißender Ironie das künstlerische Hauptmotiv. Jana Zelibskas Fliegenpilzinstallationen 1970 als Antwort auf den Tschechischen Kommunismus (Gandy Gallery, Bratislava-Slovakia), Alberto Barayas aus Kolumbien mit der großartigen Fotoserie "Antropomertrias Aproximadas-Edicion Paris, 2013" (Instituto de Vision, Bogota-Columbia) in der mit Instrumenten, mit denen Pflanzen und Tiere eroberter Welten vermessen wurden, die Vermesser selbst vermessen werden. Oder sein knapp zweiminütiger Kurzfilm "Rio, 2013" Aus dem ruhig dahin strömenden Amazonas lösen sich in unregelmäßigen Abständen Schüsse in die Luft. Aus einer Zeit, in der die Notwendigkeit gesellschaftlicher Veränderung in Europa als besonders urgent empfunden wurde, in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, stammen die in ihrer Simplizität, Bedürfnislosigkeit und Antilogik bestechenden Arbeiten des Künstlerduos KwieKulik aus Polen (Zak-Branicka, Berlin) Ebenso bewegend, die mehrfach vertretenen Arbeiten von Marina Abramovich, beispielsweise ihr "Rhythm 5, 1975-2011" (Luciano Brito Galeria, Sao Paulo-Brasil). Die Poesie des Vergangenen, die Schönheit des Unerreichbaren, eingerahmt von einer ätherischen Leere, durchzieht die weitläufigen Pfade, die die Ausstellungsfläche dieser ARCO teilen. Gewissermaßen in die, dem Handel gewidmeten und die, die erfolgreich zeigen wollen, zu was Kunst fähig ist. Das Bewusstsein durch Unterbewusstes zu erweitern. Eine sehenswertes Konzept, dem auch geschäftlicher Erfolg zu wünschen ist. Die Foto- und Textarbeit von Xavier Riberas "Thus the Dream of my Youth and the Love of My Life Passed Away and Left Me Desolate", 2015 (ProjecteSD, Barcelona-Spain) veranschaulicht die melancholische Seite dieser Schau, die Aquarellserie "Reinterpretada", 2014 von Enrique Marty (Deweer Gallery, Otegem-Belgien) die malerisch burleske Annäherung an Geschichte. Werke des berühmten Museo Lazaro Galdiano in Madrid, hat Marty mit Wasserfarben nachgemalt. Darin erstarren die Nach-gemalten mit offenem Mund. Alles ist käuflich. Sympathischer weise sind auch für Kunstbegeisterte mit haushaltsüblichen Budget, durchaus feine Werke zu haben. Bei "Poligrafa obra grafica, Barcelona" zahlt man für klassische Druckgrafik ab 1000 Euro. Eine passende Antwort auf die Marktlage? Vielleicht. Auf alle Fälle fair. Auch das Günstige ist hier von bestechend hoher Qualität.
Mehr Texte von Bettina Landl

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ARCO 2016
24 - 28.02.2016

ARCO
28042 Madrid, Parque de Juan Carlos 1
http://www.arco.ifema.es


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