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Prière De Toucher – Der Tastsinn der Kunst: Sinnliches Konzept

Das Museum Tinguely widmet sich in einer Ausstellungsreihe, die letztes Jahr begonnen hat, den fünf menschlichen Sinnen und ihrer Darstellung in der Kunst – und zwar jedem Sinn einzeln. Mit dem Fokus auf je einen Sinn wird die Komplexität der Wahrnehmung und das Zusammenspiel der Sinne bewusst gemacht. Die Ausstellung über den „Tastsinn der Kunst“ zeigt jetzt wie schon zuvor 2015 „Der Duft der Kunst“, wie eindrücklich sich diese als untergeordnet betrachteten Sinne auf das Sehen, das als übergeordnet und dem Intellekt nahe stehend bewertet wird, auswirken. Die Haut, unser größtes Sinnesorgan, ist ein häufiges Motiv – das reicht von Akten bis Detailansichten – in der Kunst. Sie lässt uns verschiedene Materialbeschaffenheiten, Druck, Temperatur und Schmerz empfinden und Wiedergaben der Haut spielen auf dieses Assoziationsfeld an, Abbildungen von Fingern auf Befingern, Begreifen, Durchkneten. Die Ausstellung geht über das rein Motivische hinaus und zeigt, wie facettenreich der Hautsinn ästhetische Konzepte und Stile prägt. Gezogen werden in der Ausstellung zahlreiche kunst- und kulturgeschichtliche Querbezüge, die bis zu den Alten Griechen zurückgreifen und in Kult und Religion ausholen. Zu sehen sind barocke Allegorien, frühe Fotografien, welche Phänomene des Lichtabdrucks als Körperabdruck verstehen lassen und ein komplexes Beziehungsnetz anbieten. Des weiteren zahlreiche herausragende Beispiele von KünstlerInnen der 60er/70er Jahre, man kann sie auch als „Körper-Epoche“ bezeichnen: Yves Klein, Bruce Nauman, Vito Acconci, Ana Mendieta, Ulay und natürlich auch Marina Abramovic, Ewa Partum, Chris Burden, Carolee Schneemann, Hannah Villiger, Pipilotti Rist, viele Österreicher, die Körperspezialisten mit den Wiener Aktionisten und Valie Export, Körperlandschaften, Close-ups von Einzelteilen, Ein- und Ausbuchtungen, Säfte. Das Neonstück „Pierre de touche“ (Stein des Anstosses) von Bethan Huws zitiert eine berüchtigte Rezeptionsgeschichte und ist zudem Hommage an den titelgebenden Duchamp mit „Prière de toucher“. Dies ist ein 1947 gestalteter Katalogumschlag mit realistisch geformter Brust aus Schaumstoff und wurde anlässlich einer Surrealisten-Ausstellung produziert. Mag Marcel Duchamp damals seinem Publikum einen direkten Nachvollzug an die Hand gelegt haben, so liebt er doch das Theoretisieren. Sinnliches verschob er in seinen Werken ins Konzept. Erotisches inszenierte er als Sprachspiel. Seine Werke sind zwar Abgüsse von tabuisierten Körperzonen, Abdrücke, Positiv/Negativ bzw. Reproduktionsverfahren. Doch besitzen die Objekte die erotische Ausstrahlung einer Zahnspange und werden zu Repräsentanten des künstlerischen Prozesses. Duchamp bleibt ein Meister des Verklausulierens – kalt wie die den Vogelkäfig füllenden Würfel, die vorgeben Zucker zu sein, doch, da aus Marmor eben nicht auf der Zunge zergehen können („Why not Sneeze, Rose Sélavy?“). Marinetti forderte in seinem Futuristischen Manifest des Taktilismus vom 11.01.1921 die gesamte Palette dessen. All dies bietet uns der Ausstellungsrundgang, manche Werke wehen uns kalt an, andere locken mit glühenden Drähten und besonders greifbar geht es bei mehreren Stationen des realen Berührens zu – so die Nachinszenierungen einer Rauminstallation von Tinguely und eines bis jetzt relativ unbekannten Objektes von Yves Klein. Ein Roboter von Louis-Philippe Demers befingert Besucher. Diese wiederum ertasten in einem anderen Raum mit Augenbinde in die Situation von Blinden gebracht antike Skulpturen. Die Reduktion des Sehsinns schärft das Sehen. Letztere Setzung, ein Zwitter zwischen Vermittlung und Theaterinszenierung, lässt den Kurator und Direktor des Tinguely Museums, Roland Wetzel neues kuratorisches Terrain ertasten. -- Am 8. und 9. April findet ein interdisziplinäres Symposium statt mit Experten aus Kunst, Architektur, Religionswissenschaft, Medienwissenschaft, Ethnologie, Anthropologie, Kulturwissenschaft, Medizin und Neurobiologie. Ein Sammelband wird dessen Ergebnisse zusammenfassen.
Mehr Texte von Andrea Domesle

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Prière De Toucher – Der Tastsinn der Kunst
12.02 - 16.05.2016

Museum Tinguely
4002 Basel, Paul Sacher-Anlage 2
Tel: +41 (0)61 681 93 20, Fax: +41 (0)61 681 93 21
Email: infos@tinguely.ch
http://www.tinguely.ch
Öffnungszeiten: Di-So 11–19 h


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