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Der Betrachter ist nicht im Bild

Struktur und Scan bei Roland Barthes und Heinrich C. Berann Es ist eine Modalität des Sehens, die uns sehr geläufig ist. Die Landschaft im virtuellen Überblick, von der Tourismus-Destination bis zu Google Map. Es ist ein Blick, der sich aus dem Militärischen herleitet und als Landschaftsmalerei tarnt. Ein Blick, der ob seiner Illusion begeistert und seine Intention derweil verbirgt. Seine Ursprünge kommen aus Österreich.


Heinrich C. Berann: Yellowstone von Norden, 1989

In seiner Mitte ragen keilförmige Gebirgsmassen auf. Die Spitzen sind schroff. Der tektonische Druck der Faltung schiebt die bizarre Insel gegen den Himmel. Rechts und links läuft die Bergkette in flache Zonen aus. Schwaden bodennahen Nebels lassen die Grenzlinie des Horizonts verschwinden. Darüber, gesäumt mit einer großen elliptischen Aureole leichter Wolken glitzert die stratosphärische Höhe. Alles ist kulinarisch. Das kristalline Blau spiegelt sich in einem Seebezirk, der davor liegt, umgeben von einer Landschaft, die wir Voralpen oder finnische Seenplatte nennen würden, würde das Bild nicht den Yellowstone Nationalpark wiedergeben. Der Maler hatte seine Jahre bei der Wehrmacht im Norden Finnlands verbracht. Spätestens hier kippt die Perspektive, nicht nur die historische, auch jene des Landschaftsblicks. Nicht nur, weil ein ferner Kontinent dem eurozentrischen Detailstudium und dem Heimatbild nachmodelliert wird, sondern weil seit jeher der unbeschränkte Überblick Verfügungsmacht suggeriert. Im Vordergrund, der den größten Teil des Bildes ausmacht, werden sichtbare Gegenstände wie bürokratische Tatsachen aufgelistet: Wälder, Wege und Wiesenmatten. Keine Unschärfe verunsichert die gemalte Alpensymphonie. Ein Fluss führt mäandernd zu dem mittigen Wasserspiegel seziert und zubereitet. Rundherum: Bäume im Pointilismus. Durch die Verkürzung scheinen wir die Wölbung der Erdrundung ausnehmen zu können. Die Landmassen bauschen sich. In anderen Sujets malt der Maler die Erde in das All ragend, es entsteht ein kugelförmiger Horizont. Es ist eine Perspektive, die in manchen Aspekten der niederländischen Landschaftsmalerei ähnlich ist. Der überzeugende Effekt der Weltlandschaft war jedoch der Verblauung der Ferne, die ikonografische Lesart und vor allem die Imagination des Anderen geschuldet. Den Krümmungsbogen kannte diese nicht. Die Krümmung verdankt sich der Technologie, der Fotografie, der Linse und der Biegung des Weitwinkels sowie natürlich Techniken der Aviation und Raumfahrt. Menschenlos sind diese Landschaftsbilder und zugleich übermenschlich. Sie nennen sich Panorama, doch eigentlich wird hier kein Rundblick ausgebreitet, sondern ein drastischer Überflug vorgeführt. Der Augenpunkt liegt in der Höhe der höchsten Spitzen, in dünnsten Atmosphären oder vielleicht sogar darüber, in einer Höhendimension jedenfalls, die für Menschen ohne technische Aufstiegsmittel nicht erreichbar wäre. Feldherrnhügel sind zu tief für diese Art Kartografie, die ebenso detailreich wie distanziert ist. Nietzscheanisch überhöht und unbeobachtet exponiert. Dazu kommt ein leicht verdaulicher Naturalismus, der seine artifizielle Verdichtung kaum verbirgt. Doch das Wichtigste: bei der Überinformation dominiert der Entzug. Alles wird gesehen, nur der Blickende nicht. Die Ansicht überblickt, entzieht sich jedoch selbst dem Blick. Zuvor ermöglichten nur Aussichtsplattformen derartige Visionen. Der Eiffelturm, etwa gleich alt wie die Geodäsie wäre ein solches Exempel. Doch Roland Barthes, der überzeugte urbane Anti-Naturalist, entdeckt im Eiffelturm genau das Gegenteilige. Er, der am 12. November seinen hundertsten Geburtstag gefeiert hätte, sah in dem Turm ein Objekt, das sieht. Der Eiffelturm ist von überall sichtbar. Das wirkt auf jene, die ihn besteigen. Für sie wird die Wahrnehmung unausweichlich zu einem Reflex. Beobachter entdecken die eigene Wahrnehmung für ein Sehen im Modus des Strukturalismus. Das gilt selbst für naive Touristen. Die Stadt und ihre Quartiers werden zu einem Netz von Punkten, Wegen und Beziehungen. Es geht um Muster, Erkennung und Deutung. Die Stadt macht sich lesbar, jedoch nicht als Topografie, sondern in ihren unsichtbaren Verknüpfungen, im Sozialen, Politischen, Ästhetischen, Ethischen. Es ist ein Verkehrsraum lebendiger Beziehungen. Der Betrachter, so schreibt Barthes, entdeckt diese „Punkte und hört nicht auf, sie zu verknüpfen und sie innerhalb eines großen funktionellen Raumes wahrzunehmen.“ Heinrich Caesar Berann, in Innsbruck geboren im gleichen Jahr wie Barthes, wird mit dem Yellowstone und ähnlichen Kartenbildern weltberühmt. Seine Ästhetik wird wie kaum eine andere nachhaltig: Sie prägt die Kartografie von Google Maps, der Flugzeug- Simulationen und wissenschaftlichen Reliefversionen. Neben seinen Panoramen malt Berann schwulstige Fantasien von rotierendem Dunst und vereinsamter Erotik. Sie sind das Gegenstück zur verbissenen Detailsicht der Weltvermessung und minutiösen Versicherung alles Sichtbaren. Schon am 31. März dieses Jahres wäre er Hundert geworden. ----- PS: Dieser Text wurde – entgegen seiner Überschrift als „Causerie du Lundi“ – in den Morgenstunden des Freitag, 13. November 2015, verfasst. Am Tag danach, dem Samstag, schließt die Pariser Stadtregierung aus Sicherheitsgründen den Eiffelturm. Bis auf weiteres wird das Wahrzeichen der Stadt nicht beleuchtet. Der Turm kann nicht mehr gesehen werden und wird auch nicht sehen.

Mehr Texte von Thomas D. Trummer

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