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Johannes Wohnseifer - Warum ich Amerikaner bin: Alternativen zum Fastfooddenken

Willkommen im Raumschiff „Deep Thought“. Im Cockpit der Tagesarbeit hört man nicht das Dröhnen der Triebwerke, sondern die überaus reisetauglichen Minimalklangstrukturen der japanischen Band „Nisennenmondai“. Deren Name bezieht sich auf den programmierten „Jahr-2000-Fehler“ früherer Computersysteme. Wer erinnert sich noch daran? Wenn es so summt im Kopf, der Bass wummert, und man sich in der Erinnerung 1980er Electronic Body Music und einer 1990er House-Hihat-Collage in eine elektronische Klangmischkulturplantage zurückgezogen hat, fragt man sich, wie wirklich die Wirklichkeit eigentlich ist. Derzeit versucht jeder einem etwas vorzumachen – über die Angst, die wir haben sollen, weil andere uns das Essen vom Teller nehmen – oder so. Im Raumschiff „Deep Thought“ hingegen kommen derartige Fragen nicht auf den Tisch. Hier werden Probleme jenseits des Standards angefasst und Lösungen angeboten. Etwa in der Malerei. Johannes Wohnseifer, Jahrgang 1967, gastiert bis 27. Februar mit seinen gedankenreichen Werken in der Innsbrucker Galerie Elisabeth & Klaus Thoman. Seine konzeptuelle Malerei bietet eine wunderbare Alternative zum gegenwärtig herrschenden Fastfooddenken, denn seine Werke sind Herausforderungen, die keine eindimensionalen Antworten provozieren. Die Ausstellung mit jüngsten Arbeiten ist vielmehr Materie gewordenes Statement für eine Komplexität, die wir nicht durch und durch verstehen müssen. Allein der Ausstellungstitel „Warum ich Amerikaner bin“ ist durch keinen offensichtlichen Bezug nachzuvollziehen. Es gibt das Ausstellungsplakat. Doch der Mensch, der da, aus leicht erhabener Position fotografiert, den Betrachter von unten anschaut, ist nicht der in Köln lebende Wohnseifer, sondern der 1944 geborene Schweizer Künstler des Monochrom-Geometrischen, Olivier Mosset, in jungen Jahren, der in 1990ern die Amerikanerin Elizabeth Cherry heiratete und seitdem in Tucson, Arizona, lebt. John Armleder, Künstler der Galerie, schätzt Mosset, und Wohnseifer zeigt über diesen Weg seine Verbundenheit. Wer ist das also das „Ich“, das Subjekt, der Ausstellung? In der Schau alterieren Werkgruppen: Arbeiten, in denen Schablonen für automobile Erlkönige zum Einsatz kommen, gemalte Polaroid-Blowups oder die Arbeiten, die sich auf die japanische Ausnahmeband beziehen. Die Werkreihe „Nisennenmondai“ stammt aus dem vergangenen Jahr und besteht unter anderem aus Acryl, Lack, Scotchlite, Lasergravur auf Leinwand, Farbstift, poliertem Edelstahl oder Aluminium, das mit einer Einheitsfarbe aus dem RAL-Fächer pulverbeschichtet wurde. Die Tableaus besitzen ein schönes Tafelbildformat mit ihren 120 auf 90 Zentimetern. Und wie die meisten Arbeiten der Schau spielen auch sie mit den Dialektiken der Malerei: Was heißt Objekt, was Bild? Wie definiert sich die Relation zwischen individueller Handschrift und maschineller Produktion? Ein Prinzip, das sich in vielen Arbeiten als erster Zugriff offenbart. Damit werden natürlich Fragen nach Bildlichkeit gestellt. Was verdecken die „Jalousien“ in dieser Werkgruppe? Die darunterliegende Handschrift und Individualität des Malers? Während die namensgebende Tokioter Band mit ihrer Musik in gewisser Weise ähnliche Fragen stellt, wenn man bedenkt, dass viele Sounds elektronisch anmuten, die Besetzung des Trios jedoch klassisch aus Bass, Gitarre und Schlagzeug besteht und zwischen Live und Studio genau diese Gegensätze zu Gehör kommen. Ach ja, Musik, Tonträger. Plötzlich ereignen sich schöne kleine Nebengeschichten. Sicher, das sind auch Bilder: Einer der Söhne der Galeristen hatte jüngst einen Wasserschaden in der Wohnung und lagerte seine Vinyl-Sammlung kurzerhand in die Galerie aus. Ein Anruf bei dem Künstler mit Blick auf die derart gestörte Inszenierung, doch der Künstler bot Asyl. Es solle alles so bleiben, entschied er, nachdem er gesehen hatte, wie die Platten dort standen. Nun sind die teils wunderbaren Scheiben von Radiohead oder Owen Pallett kurzerhand integriert. Oder „Colony Collapse Disorder“, eine Arbeit ebenfalls aus 2015. Das Kleinformat besteht aus Acryl, Lack, Scotchlite, Lasergravur, Holz, Edelstahl spiegelpoliert. Auch hier gibt es wieder die Gegensätze aus maschinengemachter Rahmung, in der sich kaum sichtbar ein gelber Farbauftrag wie Pollenbahnen spiegelt. Außerdem sind per Laser Wabenstrukturen fein auf die Bildfläche oben gebrannt. Das hat etwas vom Verhältnis zwischen Figur und Grund – ganz klassisch. Denn ist es der Grund, der da eher händisch und malerisch, also quasi als Spur individuellen Handelns erscheint? In seiner gestischen Wolkigkeit könnte man das annehmen. Und dann auch noch der Wortfetzen „OHONEY“. Ist das ein Stoßseufzer? Das Bild besteht aus drei horizontalen Farbbahnen, unten rosa, darüber ein schmales Gelb, oben Schwarz-Blau durchbrochen. Gelb, Pollen, die Vokabeltrias des Titels? Assoziierend denkt sich der Bienenstaat in Gefahr. Das Sterben der Völker ist Fakt in unserer zerstörten Umwelt, aber mit dem Wissen allein erklärt sich das Bild nicht. Die aufgeworfenen Fragen stehen monolithisch im Raum. Und vielleicht sollte man sich der vielen, teils dekonstruktivistischen Subjekttheorien der vergangenen 40 Jahre erinnern. Johannes Wohnseifers Arbeiten ermutigen dazu, auf diese Weise mit dem Raumschiff „Deep Thought“ weiter zu fliegen, als es Politiker derzeit von uns wünschen. Es ist an der Zeit, mit Arbeiten wie diesen Komplexität der Wirklichkeit anzuerkennen und zu feiern: auf einem Weg zu mehr Menschlichkeit. Seltsam, wie einen scheinbar so abwegige Wolkenkuckucksheime wieder landen lassen.
Mehr Texte von Matthias Kampmann

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Johannes Wohnseifer - Warum ich Amerikaner bin
21.11.2015 - 27.02.2016

Galerie Elisabeth & Klaus Thoman
6020 Innsbruck, Maria-Theresien Straße 34
Tel: +43-1-512 -57 57 85, Fax: +43-1-512 -57 57 85 13
Email: galerie@galeriethoman.com
http://www.galeriethoman.com
Öffnungszeiten: Mi-Fr 12-14 h


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