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Vivace!: Das weibliche Selbst

Die Galerie Steinek zeigt unter dem Titel „vivace“ derzeit feministische Arbeiten von Künstlerinnen der mittleren und älteren Generation. Es ist eine Art Verneigung vor den nimmermüden Bemühungen der Protagonistinnen ein gesellschaftspolitisch relevantes Werk zu schaffen. Gleich am Beginn finden sich in einer Vitrine die verstörenden Werke von Jana Sterbak, die 1968 aus der damaligen CSSR kommend, heute sechzigjährig in Kanada lebt. Unter dem Titel „Distraction“ gestaltete sie eine Performance, in der ein dünnes ärmelloses Hemdchen mit eingenähtem, männlichen Brusthaar von einer nackten Frau getragen wird. Das Hemd, das an feinstoffliche Unterhemden oder Totenhemden gemahnt, strahlt eine archaische papierene Ästhetik aus und erinnert an frühe Arbeiten von Josef Beuys. Der Hinweis auf Beuys im Werk von Jana Sterbak führt auch weiter zu ihrer künstlerischen Praxis, Arbeitsanzüge von Beuys auf Auktionen und Märkten zu kaufen und sie Stück für Stück aufzuessen. Hier bei Silvia Steinek offenbart sich in dem „behaarten Hemdchen“ das Spiel mit Identitäten, auch mit der Symbolkraft von Haaren. Es ist als hätte die Künstlerin sich „männliche Kraft“ auf die Brust gepflanzt. Zugleich suggeriert das hauchartige Hemdchen und die Nacktheit der Protagonistin äußerste Verletzlichkeit. Neben dem Hemd findet sich in der Vitrine eine Art Jäckchen, dessen Ärmel wie eine Zwangsjacke zusammengenäht sind. In der Performance deren Relikte wir hier sehen, ging das Modell in dieser Jacke in ein Restaurant und wurde von ihrem Partner gefüttert. Sie konnte auf Grund der Einschnürung der Hände nicht selbständig essen. Dieses Gefühl der Ohnmacht, des Ausgeliefertseins und nicht über die Nahrungszufuhr bestimmen zu können, spiegelt sehr eindrücklich Erfahrungen weiblicher Lebensentwürfe wieder. Jana Sterbak hat ein gutes Gespür für Endgültigkeiten und setzt sie in sehr gelungenen künstlerischen Strategien um. Hier sei noch auf ihr Meat Dress von 1987 im Centre Pompidou verwiesen. Eine weitere wichtige feministische Position die in der Ausstellung zu finden ist, ist die der polnischen Künstlerin Natalia LL. In der gezeigten Schwarz-Weiß-Serie „Consumer Art“ von 1975 imitiert Natalia LL in fast pornografischer Art und Weise weibliche Gesten der oralen Befriedigung. Die Diskussion in den Siebzigern drehte sich darum ob sie diese erotisch interpretierte oder sich darüber lustig machte. In den Filmen aus dieser Zeit, wo sie unter anderem eine Banane liebkost, erkennt man eine selbstbewusste Künstlerin, die einfach durch übertriebene Nachahmung eine traditionelle Frau-Mann-Normierung lustvoll in Frage stellte. Man merkt als Betrachter, dass die Künstlerin Spaß daran hatte und vielleicht ist oder war genau das das Unerhörte daran. Eine farbige Fotostrecke von Natalia LL jüngeren Datums zeigt Natalia mit Sonnenbrille, sie fläzt auf einem Sofa und ist von einem Pelzmantel notdürftig verhüllt. Es ist das Spiel mit dem erlegten Wild, dem das Wilde schon längst abhanden gekommen ist. Lustvoll wird eine Quasi Partnerschaft hier inszeniert. Der Partner des „dargestellten Modelltyps“ ist das tote Tier, in das man sich getrost einhüllen kann. Zwei weitere Künstlerinnen sind in dieser musikalisch bewegten Ausstellung vertreten. Es ist dies die deutsch-französische Künstlerin Gloria Fiedmann und die Österreicherin Renate Bertlmann. Friedmann, die in jüngster Zeit eher mit Skulpturen Furore machte, zeigt in einer frühen kolorierten Fotostrecke bereits ihren Hang zu räumlichen Fragen. In den 70ern suchte sie versteckte Höfe und leerstehende Gebäude auf und platzierte sich nackt in deren Räumen. Sie fotografierte diese Sujets und kolorierte sie später in bunten Farben. Entstanden ist die Wirkung einer von farbigen Schablonen umgebenen, bedrängten Frau. Eine dieser Bildstrecken ist bei Silvia Steinek zu sehen. Zuletzt sei noch auf die bemerkenswerte österreichische Künstlerin Renate Bertlmann verwiesen. In der Ausstellung sind Phalli auf Plastikkakteen platziert. Die Endlichkeit dieser Aufgeblasenheit ist auf den ersten Blick erkennbar. Schade ist, dass von Bertlmann nicht frühere Arbeiten zu sehen sind, z.B. Abbildungen von „Schwangere Braut“ im Rollstuhl. Mit diesen frühen, unheimlichen Arbeiten traf sie den Nerv einer Generation, die auch noch stark von kirchlicher Grammatik gequält war. Der Galerie Steinek ist in der Gegenüberstellung von Positionen weiblicher Kunstschaffender eine gute Ausstellung gelungen. Und es kann eigentlich nur als einen Anfang verstanden werden. Man möchte mehr über Arbeiten wissen, die sich mit weiblichen Strategien gegen männliche Dominanz beschäftigen. Auch über jene Arbeiten, die vielleicht noch immer in Kisten ruhen.
Mehr Texte von Susanne Rohringer

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Vivace!
11.11.2015 - 27.02.2016

Galerie Steinek
1010 Wien, Eschenbachgasse 4
Tel: +431/512 87 59, Fax: +431/512 87 59
Email: galerie@steinek.at
http://www.galerie.steinek.at
Öffnungszeiten: Di-Fr: 13-18h
Sa: 11-15h


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