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Preis der Nationalgalerie 2015: Prozesshaft, performativ, preiswürdig

Zum achten Male findet der Preis der Nationalgalerie jetzt schon statt, doch lange nicht mehr kam er so experimentierfreudig daher wie dieses Jahr. Prozesshaft, performativ und gattungsübergreifend nämlich sind alle der vier in der Shortlist normierten Positionen, die jetzt in einer bemerkenswerten Ausstellung im Berliner Hamburger Bahnhof zu sehen sind. Florian Heckers Soundinstallation “Formulation“, 2015, ist noch, wenn man so will, die „kunsthausbackenste“ der gezeigten Arbeiten. Die Installation erstreckt sich über zwei Räume, in dem einen wird dort der abgespielte synthetische und computergenerierte Sound verstärkt, in dem anderen gedämpft, der eine der Räume ist in monochromen Blau gestaltet, der andere in monochromen Grau. Da die computergenerierte Soundkomposition durch beide Räume quasi wandert, muss dieses auch der Rezipient tun, will er der Komposition folgen – irgendwie hat man das alles schon einmal gehört … Die performative Rauminstallation „For Ever Rage“, 2015, von Anne Imhof vermag da schon deutlich mehr zu irritieren. Ihre situative Arbeit setzt sich aus bildnerischen Momenten, wie z. B. blau monochromen Bildern, von der Decke hängenden Punching-Balls und „Skulpturen“ aus Cola-Flaschen oder Zigaretten-Packungen, ebenso zusammen wie aus den mehr oder weniger theatralischen Aktionen verschiedener Performer, die z. B. in bedacht langsamen Tempo durch den Raum laufen, konzentriert unterschiedliche, mehr oder weniger bedeutungsschwangere Gesten ausführen und dabei auch mit lebenden Schildkröten interagieren. Das Künstler-Duo „Slavs and Tatars“ dann hat ihren „Qit Qat Club“, 2015, im Hamburger Bahnhof installiert. Hier handelt es sich um so etwas wie Leseräume, in denen diverse Texte zur Beziehung von Kultur, Macht, Religion und Sprache zur Disposition stehen. So wird da z. B. auf das Magazin „El Dschihad“ hingewiesen, ein Propagandablatt aus dem Ersten Weltkrieg, das in Berlin produziert wurde und zum Ziel hatte, muslimische Kriegsgefangene gegen ihre Kolionalherren aufzustacheln. Sprache als Herrschaftsinstrument steht da also zur Disposition. Warum allerdings solch ein kritisches Unterfangen dekoriert werden muss mit popigen Logos oder funktionierenden Schaukeln aus Gebetsketten, dieses erschließt sich dem in der Installation stöbernden Besucher nicht, lenkt ihn eher ab von der sich hier durchaus lohnenden Lektüre. Der in Berlin lebende junge Däne Christian Falsnaes schließlich geht am weitesten mit der künstlerischen Beteiligung der Besucher. Seine perfomanceartige Kunst setzt konkrete Rahmenbedingungen, die dann von den Teilnehmern seiner Performances interpretierend in die Tat umgesetzt werden. So in seiner im Hamburger Bahnhof präsentierten Arbeit „The Title Is Your Name“, 2015, in der jeweils nur ein Besucher in einem Raum dem Künstler gegenübertritt, der allerdings nur auf einem Tablet-Bildschirm anwesend ist. Beide beginnen zu interagieren, eine jeweils neuer, individueller Dialog beginnt, am Ende dieser gefilmten One-On-One-Situation entscheidet der Besucher, ob sein „Auftritt“ anschließend im Netz gezeigt werden darf oder nicht. Mit seiner Auswahl dieser vier künstlerischen Positionen hat sich der Preis der Nationalgalerie deutlich abgesetzt von einer Kunst, die vor allem auf die galerientaugliche Produktion abgeschlossener Werke setzt – und das ist gut so! Ärgerlich aber ist der langjährige Sponsor des Preises: BMW, also ausgerechnet einer jener Automobilkonzerne, die mit ihren SUVs unsere Umwelt aus puren Profitgründen zerstören, wird hier mit kulturellen Weihen beehrt.
Mehr Texte von Raimar Stange

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Preis der Nationalgalerie 2015
11.09.2015 - 17.01.2016

Hamburger Bahnhof - Nationalgalerie der Gegenwart
10557 Berlin, Invalidenstraße 50- 51
Tel: +49 30 266424242
http://www.smb.museum/museen-und-einrichtungen/hamburger-bahnhof/home.html
Öffnungszeiten: Di, Mi, Fr10-18, Do 10-20, Sa, So 11-18 h


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