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Posthum und Präventiv

Basel, Paris und Zürich. Kürzlich ging die Art Basel über die Bühne. Es war der alljährliche Auftritt der Kunstwelt. Schrille Superlativen gerahmt oder on the rocks. Unbeeindruckt von etwaigen Krisen lief das Geschäft. Der einzige Unterschied zu früher: Preise wurden nicht mehr in Franken angegeben. Überteuert war das meiste dennoch. Im Parterre wie üblich die historische Avantgarde und Klassiker. Der Anteil der posthumen war deutlich im Steigen. Das hebt die Seriosität und verpflichtet. Honi soit qui mal y pense. Der Soziologe Franz Schultheis meint: Die Art Basel fungiert als eine Bank für Sozialkapital, und das nutzen auch die Sponsoren, die UBS-Bank, Davidoff, BMW. (Die Zeit, # 26/2015) Einheimische erzählen, nur die Baseler Uhrenmesse ziehe ähnlich viele Stars und Sternchen an. Die beiden Messen, so berichtet ein Anwohner, seien jedenfalls an Äußerlichkeiten nicht zu unterscheiden, besonders nicht an Trends für Mode und rezente Chirurgie.

Dass die Ähnlichkeit an anderen Belangen nicht halt macht, belegt ein Plakat, das ich einige Wochen zuvor an einem Abflugsteig des Zürcher Flughafens entdecke. Das Billboard ist beleuchtet und in eine vertäfelte Wand eingelassen. Es ist, als wäre ein Jeff Wall in das Edelholzmobiliar eines Fernsehstudios montiert. Beworben wird das neue Produkt von TAG Heuer, dem Schweizer Nobeluhrenhersteller. TAG Heuer – das TAG steht übrigens für Techniques d´Avantgarde - gehört seit eineinhalb Jahrzehnten zum Luxusgüter Konzern Moët Hennessy Louis Vuitton S. A. (LVMH). Das Unternehmen, das mit exquisiten Taschen, Parfums und Cognacs sein Geld verdient, ist im Besitz des französischen Kunstsammlers und Mäzens Bernard Arnault. Arnault war kürzlich in aller Munde, hatte er doch von Frank Gehry ein Museum in Paris errichten lassen. Das Gebäude wurde als der wichtigste Museumbau seit dem Centre Pompidou gefeiert. Klassik und Avantgarde in einem. Tollkühn erhebt es sich über der Stadt, ein Gebäude mit Stresemann gerippten Schalen, eine Formmischung aus Eisberg und Kaskade. Manche Teile sind wie geblähte Segel, die kaum dem Druck von Wind und Wetter standhalten. Zerbrechlich wirkt es trotz des Kristallinen, dünnwandig trotz der robusten Armierung. Doch zurück zum Start, zum Sujet in Zürich. Das Motiv wirbt für den Tag Heuer Carrera Calibre 16 Chronograph. Das wäre nicht bemerkenswert, wenn das Product Placement nicht einen prominenten Werbeträger nützte. Das Plakat zeigt einen jungen Mann im Dreiviertelprofil. Er lächelt. Seine linke Hand hält er gegen das Ohr, um sich auf einen Kopfhörer zu konzentrieren. Sein Rennfahreranzug zeigt aufgenähte Werbeaufschriften. Der Name Goodyear ist zu sehen. Die Uhr hält er vor die geschürzten Lippen. Um das Kernmotiv zu verdeutlichen, findet sich die Uhr neben seinem Close-up nochmal aufgeblasen. Gesicht und Produkt, Porträt und Sujet, sind bestens zueinander gefügt und dennoch in dieser Verbindung geschmacklos. Man mag es als kommunikatives Missgeschick entschuldigen, aber es ist zu fürchten, dass es sich um eine Perfidie des Marketing handelt. Das Doppelsujet kann kaum gerechtfertigt werden, auch nicht unter dem Hinweis, dass wenn Kunst allenthalben provokativ ist, es Werbung allemal sein darf. Denn unter der Porträtierten findet sich der Slogan des Herstellers: #Don´tCrackUnderPressure. Die Stressbeständigkeit der Uhr wäre kein Thema, wenn der junge Mann nicht Ayrton Senna wäre. Der Formel 1 Fahrer starb am 1. Mai 1994. Die Todesursache: eine Radspeiche durchstieß seinen Helm. Was will uns diese Werbung sagen? Die Druckbeständigkeit heutiger Qualitätsuhren übertrifft den Schutzfaktor früherer Helme? Oder will sie den Wagemut von Avantgarde und Klasse belegen? Die Zeitlosigkeit von Innovation und Heldentum? Welches Fazit man in Rechnung stellt, das gut- oder das böswillige: der Rennfahrer, der nicht nur wegen seines Fahrstils, sondern auch wegen seines Aussehens legendär wurde, wirbt heute für ein Uhrwerk, das angeblich seinen Tod präventiv verhindert hätte. Dafür verbürgt er posthum als Klassiker der Avantgarde.

Mehr Texte von Thomas D. Trummer

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