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Das Kapital

Ein roter Teppich als Kritik der Netzökonomie

Vor wenigen Monaten verkündete Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU), dass Joseph Beuys’ „Das Kapital“ als Dauerleihgabe nach Berlin kommen wird. Der Besitzer des Kunstwerks, der Berliner Unternehmer Erich Marx, sagte der Neuen Nationalgalerie das Werk zu. Das Environment (korrekter Titel „Das Kapital Raum 1970-1977“), das aus einem Speer, technischen Geräten, einem Bösendorfer-Klavier und mit Kreide beschriebenen Tafeln besteht, wird nach Auskunft des Museumsdirektors Udo Kittelmann direkt neben Warhols Version von „Mao“ zu sehen sein. „Kapitalismus und die übelste Form des Kommunismus“, so Kittelmann, „treffen dann aufeinander“.


Isaac Julien, Das Kapital, 56. Biennale di Venezia

Anderer Schauplatz, ähnliche Namen: Ein kühler unterirdischer Raum mit rotem Teppich im Süden Europas. Zwei Schauspieler, die vor Pulte treten und sich anschicken, ein Manuskript vorzutragen. Die unterkühlte Kargheit von Beuys kommt kaum in Erinnerung. Die Anmutung des Ambientes ist eher dem Glamour von Filmfestivals oder der Steifheit politischer Pressefoyers nachempfunden. Journalisten/innen, Promis und Blitzlichtgewitter fehlen. Hinter den Protagonisten befindet sich eine Videowand, auf der schnörkellos ein Text durchläuft. Der Teleprompter ermöglicht, den Vortragstext live zu synchronisieren. Das zeitigt Wirkung. Der Text ist verdoppelt, wird verstärkt und verinnerlicht. Die Idee, Karl Marx’ “Kapital“ auf der Biennale in Venedig lesen zu lassen, stammt von Okwui Enwezor, die Inszenierung vom britischen Filmemacher Isaac Julien. Seit Beuys ist Zeit vergangen und seit Karl Marx noch mehr. Die Schrift, die das politische Leben des 20. Jahrhunderts mehr als jede andere prägte, kommt in nuce zur Sprache. Sie wird nicht länger kommentiert oder realpolitisch instrumentalisiert. Und doch bewirkt die vermeintliche Sachtreue ein Abdriften in Ver- und Entfremdung. Was Beuys wortreich durch private Lehrgebäude verbreitete, wird in Venedig zu mythisch nachhaltiger Präsenz aufgeladen. Licht, Performance und die Stille zwischen den Vortragseinheiten zelebrieren die Schrift. Man kann nicht anders als an ein unschönes, dekadentes Spiel zu denken, eine Entwertung des Politischen durch ästhetische Inthronisation. Doch ist das korrekt? Ist die öffentliche Lektüre auf einer Kunstausstellung tatsächlich nichts mehr als outrierte Oral History? Vielleicht. Doch dafür sind Enwezor und Julien zu klug. Könnte es nicht sein, dass sie recht haben und die Relektüre des Originals tatsächlich nötig ist, gerade in diesem äußerst befremdlichen Kontext? Dann wäre bewiesen, dass nur eine pointierte Überspitzung den Kontrast hervorzubringen vermag, der für eine profunde Gegenwartsanalyse unerlässlich ist. So ist angesichts der venezianischen Marx-Renaissance zu fragen: Wie sehen Produktionsverhältnisse im Zeitalter globalisierten Kapitals aus? Wie zirkulieren Waren und Wissen? Was bedeuten Arbeit und Kapitalismus heute? Gehört nicht der 1921 geborene Berliner Erich Marx zu jenen Unternehmern, die am Übergang von Realwirtschaft, vom Bauwesen zu Medizin und Krankenhausmanagement ihre Geschäfte machten? Der Sohn eines Lagerarbeiters ist Exempel der Vorbereitergeneration der heute verbreiteten Netzökonomie. Würde er auch Isaac Juliens Werk erwerben und neben Maos Portrait hängen lassen? Wohl nicht. Denn die Wirtschaft und ihre Kritik haben sich geändert. Kapital wird zwar immer noch akkumuliert, doch die neue Arbeiterklasse sind nicht konzerngebundene Mitarbeiter, sondern die Kognitarier, die mit unermüdlicher Leistungsbereitschaft von zu Hause aus die Bildschirme füttern. Sie erfüllen, worunter Beuys befreiendes Potential vermutete, nämlich den Einsatz individueller Kreativität, doch übersah, dass diese sich nur erfüllen kann, wenn sie nicht miniaturisiert und fragmentiert wird, wie die Arbeit vor den Screens gegenwärtiger Netz-Ökonomie.

Mehr Texte von Thomas D. Trummer

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