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Geniale Dilletanten - Subkultur der 1980er Jahre in Deutschland: Im Museum der falschen Gefühle

"Alle Idole müssen sterben", sang Blixa Bargeld im Stück "Seele brennt" auf der Platte "½ Mensch" (1985) der Band Einstürzende Neubauten. Auch das ideale Museum? Und was sollte das, bitte, aus der Sicht des Underground sein? "Es fühlt sich falsch an", meint Moritz R® von der Gruppe Der Plan. Und er antwortet auf die vielleicht unfaire Frage, wie man sich fühle, wenn die Arbeit, die erlebten Momente in der mitgeprägten Subkultur nun im Museum zu sehen sind. Das nach wie vor Aufwühlende ist die schlichte Tatsache, dass die Idole nicht, die Ideologien tatsächlich alle spätestens in den 1980er Jahren gestorben sind. Daran haben die Texte diverser Bands gehörigen Anteil. Und sie sind der Grund, dass diese Ausstellung nicht nur ein Problem ist, sondern auch in der Inszenierung daneben geht. "Geniale Dilletanten" ist sie betitelt und im Haus der Kunst zu sehen. Geplant wurde sie jedoch als Wanderausstellung vom Goethe-Institut, wo sie von Minsk bis Montreal auf dieses besondere Achtzigerjahrephänomen jüngster deutscher Kulturgeschichte aufmerksam machen soll. Der Versuch ist ein Problem und bedenklich. Es ist fragwürdig, diese "Welle" von einst, die großartig, aber in ihrer Wirkung nicht genau zu bemessend auf Design, Kunst, Musik geschwappt ist, in einer Ausstellung für ein kunstaffines Publikum zu glätten. Das hatte das Düsseldorfer Projekt "Zurück zum Beton" im Jahr 2002 wesentlich besser im Griff. Hier nun rücken große Fotowände auf die Pellen der Betrachter, und davor sieht man alte Würfelmonitore mit flimmernden Kathodenstrahlröhren. Da laufen dann die Videos und Performance-Mitschnitte von Der Plan, Deutsch Amerikanische Freundschaft, Die Tödliche Doris, Freiwillige Selbstkontrolle, Einstürzende Neubauten, Palais Schaumburg und Ornament und Verbrechen. Die Strategie der Kuratoren Mathilde Weh und Leonhard Emmerling vom Goethe Institut ist deutlich erkennbar: Wichtige Protagonisten aus Ost und West aus verschiedenen Orten und "Stilrichtungen" belegen die deutschlandweite Verbreitung des Phänomens. So wie damals John Peel, legendärer Radiomoderator der BBC, uns das Evangelium neuer Musik aus aller Welt näher brachte, Inspirationsquelle übrigens auch für die München gezeigten Musiker. Das Goethe-Prinzip funktioniert international, aber in der Münchner Station ist es so, dass man überambitioniert einen Kranz an Gemälden darum herum kuratiert hat, die von Leuten wie Jörg Immendorf, A. R. Penck oder Salomé stammen. Die haben jedoch nicht allzu viel mit den Musikern und Künstlern zu tun, die in der Ausstellung stellvertretend für Punk, Avantgarde, Neue Deutsche Welle oder der Mischung aus allem zu Wort kommen. Moritz R®, bis heute Maler, ist mit seinem malerischen Werk gar nicht vertreten. Anderen geht es genauso. Martin Kippenberger, Betreiber des legendären Clubs SO36 in Berlin und wenige andere rücken dieses Bild, das erkennbar aus der historischen wie intellektuellen Distanz gemalt wurde, auch nicht gerade. Solch ein Projekt geht man besser als Historiker, denn als Kunsthistoriker an. Die Quellen sind stark genug, und leider geht der tatsächlich sensationelle konzeptuelle Ansatz der Tödlichen Doris irgendwo im Öl-Odeur zwischen den Mainstream-Malern mit Ruchparfüm verloren. Diese Generation erlebte und erlitt Disco, Aufrüstung, die merkantile Ausschlachtung von Mainstream-Erscheinungen und, politisch betrachtet, das Aufkeimen der Institutionalisierung der Umwelt- und Protestbewegung in Form der Grünen, die Friedensbewegung und den organisierten Feminismus. Das alles war aus der Perspektive der stark von Konzeptkunst und Marcel Duchamp beeinflussten Tödlichen Doris ästhetisch ein absoluter Alptraum. "Dabei war ihr Anliegen ja vollkommen richtig", urteilt Wolfgang Müller, bildender Künstler und Mitgründer der Band. "Wir wollten dem etablierten System etwas entgegenstellen." Da wirkt neu-epxressionistisches Pinseln deplatziert. Doch zynisch waren diese Ausdrucksmeister nicht, nur suchten sie nach anderer Gestalt und fanden zu anderen Bildern. "Wir wollten die totale Freiheit und nicht von der Band leben müssen. Wir wollten das machen, was wir selbst hören wollten. Daher hatten wir immer Jobs", skizziert Moritz R®. Dann erhob sich der Do-it-yourself-Geist: "Dass wir die Rock-Gitarre nicht spielen mussten, war ein Vorteil für uns, denn so konnten wir alles spielen, wie wir es wollten, und waren nicht an die Konventionen der Plattenindustrie gebunden", beschreibt Wolfgang Müller. Also brach man mit dem Konzept der Rockband, gelegentlich indem man mit Opas weißen, langen Unterhosen auf die Bühne ging, oder sich merkwürdig trashige Masken aufsetzte. So weit so spannend. Wenn man mit Protagonisten wie Moritz R®, Wolfgang Müller oder Ronald und Robert Lippok spricht, sprudeln die Geschichten ohne Unterlass. Abbilden kann man sie in einer Ausstellung wohl kaum. Hört man zu, lebt er wieder, dieser rebellische Geist multidimensionaler Schöpferkraft. Doch der normale Gast hat diese Chance eben nicht, danach zu fragen, wie man sich denn fühlt, wenn die Sachen von damals jetzt in Vitrinen aufgebahrt sind. Was also ist die geeignete Darbietungsform? Die Schau schafft es weder, die Relation zwischen Kunstsystem und alternativer Avantgardemusik zu untersuchen, noch nimmt sie sich die Zeit, um Szene und gemaltes "Umfeld" durch direkt passende Artefakte greifbar und verständlich zu machen. Das Ausstellen scheint daher kein geeignetes Medium zu sein. Rüdiger Esch, Jürgen Teipel oder Simon Reynolds haben mit ihren Büchern das Mündliche ins Schriftliche überliefert. Das geht. Sicher, sie haben viele Mythen kolportiert, aber die gehören dazu. Wer weiß denn noch, wann er wie nüchtern war in diesen wilden Zeiten? Allerdings waren Konzerte Performances, von denen neben Fotos nicht viel mehr als der je persönliche Eindruck des individuellen Erlebens bleibt. Alsdann sprechen höchstens Tonträger und Videos ihre eigentliche, musikalische und visuelle Sprache. Und darüber hinaus? Sinnvoll wird das Zeigen erst dann, wenn Dinge vorhanden sind. Das passt ja auch, wenn Relikte gezeigt werden. Das Materielle, die Schallplattenfetische und Devotionalien sind zweifelsohne ausstellbar. Daher ist die Box "Chöre und Soli" der Tödlichen Doris so wunderbar anzusehen. Die besteht aus verschiedenfarbigen Schallplatten, die man in Spielzeugpuppen früher fand. Dazu ein Abspielgerät und ein Booklet. Oder die dreiteilige "Sesselgruppe Kleid" von 1991, als der Zirkus schon längst vorbei war. Natürlich ist es spannend, den Rausch-Generator der Band Ornament und Verbrechen aus Berlin Ost zu sehen, auch deren Mopedauspuffsaxophon. Aber zur Aufarbeitung taugt das meiste Material eben nicht bzw. es ist einfach zu wenig. Man hätte es beim Kern, also dem Goethe-Material bewenden lassen sollen. Mehr Filme, mehr Text sind angebracht, denn noch leben die Idole. Befragt sie, filmt sie. Im Haus der Kunst hat man jedoch das Gefühl, dass diese Helden bereits Rauch und Asche sind. Dort fühlt sich's falsch an.
Mehr Texte von Matthias Kampmann

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Geniale Dilletanten - Subkultur der 1980er Jahre in Deutschland
26.06 - 11.10.2015

Haus der Kunst München
80538 München, Prinzregentenstrasse 1
Tel: +49 (0)89 21127-113, Fax: +49 (0)89 21127-157
Email: mail@hausderkunst.de
http://www.hausderkunst.de/
Öffnungszeiten: Mo – So 10.00 – 20.00, Do 10.00 – 22.00


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