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wow! Woven? Entering the (sub)Textiles: Der Stoff, aus dem die Träume sind

Die Textilindustrie ist einer der ältesten und wichtigsten Wirtschaftszweige des produzierenden Gewerbes. Sie fertigt aus pflanzlichen, tierischen, mineralischen oder vom Menschen hergestellten Fasern textile Produkte wie Gespinste, Gewebe, Filze, Vliesstoffe, Nähgewirke und Maschenwaren, die unter anderem von der Bekleidungsindustrie weiterverarbeitet werden und sich nach Produktionsstufen in Spinnerei, Weberei, Wirkerei, Strickerei und Textilveredelung untergliedert. Heute gibt es in Mitteleuropa beinahe keine Betriebe mehr, in der sämtliche Produktionsstufen vom Rohstoff bis zum Endprodukt gefertigt werden, da diese stark arbeitsteilig organisiert und internationalisiert sind. Dass die damit einhergehenden Problematiken wie menschenunwürdige Arbeitsbedingungen und der Verzicht auf Nachhaltigkeit zur künstlerischen Auseinandersetzung zwingen, macht die von Christian Egger kuratierte Ausstellung „wow! Wovon? Entering the (sub)Textiles“ im Künstlerhaus KM–, Halle für Kunst & Medien deutlich. Arbeiten von 20 inter_nationalen Künstler_innen präsentieren sich in einem offenen Dialog und fügen sich gleichzeitig in den umfassenden und aktuellen Diskurs um die Neubewertung des Textils als künstlerischer Werkstoff. Alte und neue Kulturtechniken des Verknüpfens, Verwebens und Verfilzens werden im Spannungsfeld zwischen freier und angewandter Kunst, individueller Kunstpraxis, kollektiver Webtradition und industrieller Massenproduktion beleuchtet. Die einzelnen Positionen verhandeln das Thema auf unterschiedliche Weise. Während im Untergeschoss einer Werkstätte ähnlich der Herstellungsprozess und darüber hinaus Machstrukturen sichtbar werden, zeigen sich im Obergeschoss die fertigen Produkte als Kunstwerke. Die Materialität wird ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt, das Textil zwischen greifbarem Material, bedeutungstragendem Medium, Technik und Idee sowie der Aspekt der Textilindustrie, deren Geschichte und Rolle innerhalb einer kapitalistischen Form der Warenproduktion verhandelt. Die Beiträge thematisieren Identitäts- sowie Wertkonstruktionen und bringen gleichzeitig den feinen Charakter des Werkstoffs zum Ausdruck. Diese Fragilität gießt Marie Lund (geb. 1976, Kopenhagen) in Beton. Gegen Nationalismen und Wertesysteme opponieren die Arbeiten von Helena Huneke (geb. 1967, Münster; gest. 2012, Berlin): Eine Collage aus Stofffragmenten und ein demontierter Hocker, dessen Einzelteile ein Setzen und damit Ausruhen unmöglich machen. Ines Doujak (geb. 1959, Klagenfurt) und John Barker (geb. 1948, London) kommentieren in Form von zwei von der Decke hängenden Textilrollen mit Motiven und daraus gefertigten Kleidungsstücken, die sorgfältig zusammengelegt einem Verkaufstisch ähnlich daneben liegen, die unmenschlichen Arbeitsbedingungen in Fabriken. Ein Video zeigt die Aufnahme einer Performance der Künstler_innen, die auf das tragische Fabriksunglück in Bangladesch im Jahr 2013 Bezug nimmt. „We share the pain“ heißt es darin. Die bedruckten Stoffe weisen eine bekannte Motivik auf: Ketten, brennende Nähmaschinen und nackte Körper. Themen wie Leben und Tod, Verantwortung und Schuld – die Verletzlichkeit des Menschen – sind aktuell. „I am alone“ heißt es weiter, das als Symbol für das Schicksalhafte des Menschseins gelesen werden kann, aber „there is no time for philosophy“. Die Präsentation der Werke schafft eine dichte Atmosphäre. Der Hauptraum versammelt Zufälligkeit als Methode, die wiederum das Wesen der Thematik zum Ausdruck bringt und formal in Erscheinung treten lässt. Der bearbeitete Denim-Stoff von Rubén Grilo (geb. 1981, Spanien) verweist auf die Tragbarkeit beziehungsweise Benutzbarkeit des Materials und ruft Assoziationen hervor, die mit der Prägung des Stoffes durch dessen Geschichte und Entwicklung verbunden sind. Damit wird der Ausstellungsraum um eine immaterielle Ebene erweitert, der die gesamte Schau durchsiebt. Anna-Sophie Bergers (geb. 1989, Wien) Beitrag besteht aus vier an der Wand befestigten blauen Mänteln aus Seidensatin, Wolle, Baumwolle und Leinen, die den Aspekt der Jahres-Zeit fassen und gleichzeitig die theoretische Unterfütterung – den Subtext – der gesamten Ausstellung sichtbar machen. Eigenschaften des Materials wie das Fallen und damit die Formalisierung wird zur Metapher. Die Objekthaftigkeit des Materials tritt in Lisa Oppenheims (geb. 1975, New York) Version in Erscheinung. In Form eines bedruckten Stoffes hinter Glas gerahmt prüft das Bild Wahrnehmungsgewohnheiten und stellt gleichzeitig dessen Wesen und Materialität in Frage. Eine ähnliche Position vertritt Sheila Hicks (geb. 1934, Nebraska), indem sie unbearbeitete blaue Fasern auf weißem Grund rahmt. Das Organische des Werkstoffs wird dargestellt und der performative Aspekt des Materials selbst zutage befördert. An ein Büro und damit an eine alltägliche Arbeitssituation erinnern die sechs im Ausstellungsraum verteilten Stühle von Johannes Schweiger (geb. 1973, Schladming), deren Bezüge wiederum Mehrdeutigkeit zulassen und gleichzeitig ihrer Funktion aufgrund des Kontexts, in dem sich die Objekte nun befinden, enthoben zu sein scheinen. Darüber hinaus weisen mehrere Werke etwas Kaputtes oder Schmutziges auf, sind zerrissen und unvorsichtig bedruckt, veräußern Ambivalenz und Zerbrechlichkeit. Judith Raums (geb. 1977, Werneck) Textildrucke weisen wie auch die Ines Doujaks und John Barkers religiöse Symboliken auf und erinnern an traditionelle Motive. Von Verletzlichkeit und Schutz handelt auch Manfred Erjautz (geb. 1966, Graz) „Shelter (Charis)“ (2006). Die am Boden liegende Schaufensterfigur in der Apsis des Künstlerhaus KM– ist mit Strumpfhosen und Gurten umwickelt, während sie ihren Blick auf den Stoff, auf dem sie liegt und mit dem der Körper verwoben ist, gerichtet hat. Ein weiterer Aspekt ist der kommunikative, der mittels eines Sprachbildes von Ingrid Wiener (geb. 1942, Wien) auf „Papier“ als Teppich in Erscheinung tritt. Rote Pfeile verweisen auf die „Gesamtanzahl aller Ereignisse“, deren Summe, jedoch jede „Übereinstimmung ist Zufall“. Hannah James (geb. 1985, Nottingham) klebt hingegen Gegenstände, Pflanzen, Müll und Farbe auf ein Gewebe und installiert es als Audio-Skulptur im Raum. „A fully form of pressure. It's a cohesion.“ – Ein Dialog ist zu hören, der Bezug nimmt auf die Spieltheorie Roger Caillois und die Kunsttheorie Gottfried Sempers, der die Ästhetik der textilen Kunst prägen sollte. Bereits vormoderne Kunsttheoretiker sprachen dem Textilen einen bedeutenden Stellenwert zu und bezeichneten es als „Urkunst“ und als zentral für die Begründung einer Kunstgeschichte (Alois Riegl) – nachzulesen in den erst kürzlich erschienen Publikationen „Textiles: Open Letter“ (Sternberg Press) und „Textile Theorien der Moderne: Alois Riegl in der Kunstkritik“ (b_books). Das Textile kann als Sinnbild für die vielfältige Vernetzung unserer Welt gelesen werden, ist selbst aber meist das Material, das in der bildenden Kunst oft nur Leinwand, in der angewandten Kunst hingegen und in der Weltgeschichte einer der wichtigsten Medien überhaupt, neben dem Töpfern die älteste Kulturtechnik darstellt. Das Changieren zwischen Selbst- und Weltverhältnissen ist dem Textilen immanent und erzeugt wechselnde Perspektiven – untrennbar von materieller und immaterieller, künstlerischer und handwerklicher Arbeit ebenso wie die Hierarchien in der globalen Verteilung von Arbeit und Ressourcen. Besonders in den letzten Jahren geriet Textilkunst neu in den Blick, während der Werkstoff immer auch deren Medium und Teil der Botschaft ist. Und dabei ist der Traum, der zwischen Material und Form, Körper und Fläche, Gegenständlichkeit und Abstraktion, Träger und Werk existiert, deren Ursache und Wirkung.

Mehr Texte von Bettina Landl

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wow! Woven? Entering the (sub)Textiles
13.06 - 10.09.2015

KM– Künstlerhaus Halle für Kunst & Medien
8010 Graz, Burgring 2
Tel: +43 316 740 084
Email: hd@km-k.at
http://www.km-k.at
Öffnungszeiten: Di-So11-17 h


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