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Peter Piller - Belegkontrolle: Der fruchtbare Humus der Langeweile

"Es ist wichtig, ein Projekt abzuschließen", sagt Peter Piller. Das klingt beinahe schrecklich konventionell. Und wenn man dem Fotokünstler zuhört, erweckt es den Eindruck, man habe einen altmodischen Menschen vor sich, der sich des Vokabulars seiner Eltern bedient. Dann aber ist von der Langweile und ihrem Nutzen die Rede. Und spätestens jetzt bemerkt man, dass das nichts mit "Schaffe-schaffe-Häusle-baue" oder "Spare in der Zeit, dann hast Du in der Not" zu tun hat. Aber mit Zeit schon. Piller hat Geduld, und die braucht er auch, wenn er Tausende Fotos aus den Archiven, mit denen er arbeitet, auf Brauchbarkeit hin analysiert. "Wenn es so richtig langweilig wird, beginnt die Arbeit", beschreibt er. "Vielleicht gibt es Meisterwerke, die unter Gähnen zustande gekommen sind", steht auf einer Glasplatte. Das ist eine von zwei heraus stechenden Arbeiten in der Nürnberger Kunsthalle. Sie markieren den Beginn des Werkkomplexes "Zeitung", der bis 2006 entstand und Gedrucktes zu Ikonografien voller Alltagswitz und hintergründigem Sinn kompiliert. Was also ist Dauer? Die menschliche Komödie besitzt zwar immer auch tragische Momente, aber sicher darf man bei Peter Piller lachen. Schmunzeln muss man sowieso dauernd. Etwa bei der wundervollen Zusammenstellung von Zeigegesten. Wer noch mit klassischen Lokalzeitungen und ihren Stadteilausgaben vertraut ist, erkennt sofort die Akteure aus der Nachbarschaft in ihren einschlägigen Posen. Ein Herr mittleren Alters deutet auf eine Wiese. Eine Dame in einem anderen Foto ebenso. "Bedeutungsflächen" ist eins der 13 gezeigten Kapitel aus "Zeitung". Bernd und Hilla Becher haben hier ausnahmsweise mal nicht zur Rettung der Nicht-Architektur etwa von Stahlwerken oder Wassertürmen Pate gestanden. Es ist Pillers subjektiver Blick, der die Auswahl trifft. Hinzu tritt seine angenehm dichte Poetisierung des Materials durch den wunderbaren Titel, der auf die intellektuelle wie die physische Ebene des Worts "Bedeutung" anspielt. Wie wichtig doch das Kleine, Geringe, Randständige ist. Daher wundert es auch nicht, wenn Peter Piller auf die Frage, ob hier dem ganz normalen, aus Star-Perspektive stinklangweiligen Durchschnittsleben gehuldigt werde, mit einem aufrichtigen Ja antwortet. Peter Piller, Jahrgang 1968, hat in Hamburg im Lerchenfeld studiert und unterrichtet heute selbst als Professor für Fotografie an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst. Er schuf ein Werk, dass sich nur unzureichend mit dem Schlagwort von der "Fotografie über Fotografie" festschreiben lässt. Vielmehr ist es Bildnerei über unser ganz banales Menschsein, fernab des Dokumentarischen. Sicher, der Künstler verwendet vorgefundenes Material. Allerdings haben es die Arrangements in sich. Bereits im ersten Raum begegnet einem die Arbeit "Dauerhaftigkeit" von 2003. Eingeladen in die niederländische Gemeinde Hellendoorn für ein Projekt im öffentlichen Raum, hatte er gemütliche drei Jahre Zeit, sich seiner Auseinandersetzung mit dem Ort anzunähern. Aus dem Firmenarchiv einer hiesigen Textilfirma suchte er Motive aus, die er zu einer stets vom Betrachter neu erfundenen Erzählung gruppiert. Da irritieren unscharfe Bilder, erste Schüsse, wenn der Film gerade eingelegt worden ist. Dann bezaubern Motive wie ein Pfau in der Dunkelheit oder eine Möwe im Flug. Auf den Boden der Tatsachen bringen den Betrachter sofort die Blicke in kahle Räume, in denen kein Mensch sich aufhält, und man fragt sich unwillkürlich, was auf dem Tableau eigentlich gezeigt wird. Die spontanen Antworten, die man sich selbst gibt, könnten schon stimmen. Wenn man sich selbst vertraut. Ein bestimmendes Moment ist die Arbeit mit Dokumentensammlungen. "Mittlerweile werden mir ganze Archive angeboten." Also ließ ihn eine Schweizer Versicherung in ihr Bildgedächtnis. Nürnberg zeigt daraus den komponierten Ausschnitt "Nimmt Schaden". Wasserflecken: Eine Frau zeigt mit ihrem Fuß darauf. Aus der Reihe fällt ein Blick auf die Alpen. Die Unprofessionalität der Fotos lässt eines ganz besonders hervortreten: die Banalität des Alltags. Peter Piller arbeitet damit aber keineswegs herablassend. Aber wie möchte Erhabenheit der Bergwelt angesichts von Versicherungsschäden erlebt werden? Und warum finden sich überhaupt derartige Nebenmotive in ach so sachlichen Archiven? Die Irrläufer pumpen eine gehörige Portion Humor ins Feld, wenn nicht die Bilder an sich schon witzig genug sind, wie etwa die "Umschläge". Hier kontrastiert Piller Vorder- und Rückseite der "Armeerundschau", einer Waffenillustrierten, die bis zum Ende der DDR erschien. Vorn die tödlichen Werkzeuge des Arbeiter- und Bauernstaats, hinten die realsozialistische Auffassung desjenigen Frauenkörpers, der gemeinhin als Pin-up bezeichnet wird. Und das ist vielleicht der überaus menschliche Kern dieser Werke: Dass sie nämlich jeden von uns ansprechen und uns nicht nur auffordern, eigene Geschichten aus der Vielzahl der vorgefundenen Bilder zu stricken, sondern in gewisser Weise auch unseren vergänglichen Alltag ein wenig aus dem Fluss der Zeit zu reißen und still zu stellen, damit wir uns einmal von außen in aller Ruhe wahrnehmen können. Ist uns wirklich bewusst, was wir machen, wenn wir Fotos von einer Agentur kaufen, die über unsere Häuser hinweg fliegt? Vielleicht gehen wir morgen schon pleite und sind das Haus los? Aber es war für eine gewisse Zeit unser eigenes, kleines Versailles, in dem wir vielleicht glücklich waren und anderen Glück gebracht haben. Und welcher Art sind diese Bilder, mit denen Firmen ihre Geschichte dokumentieren, wenn diese Firma irgendwann aufgekauft wird und die Mitarbeiter auf den Bildern, namenlos, längst pensioniert sind? Was für eine Geschichte ist das und wessen Geschichte ist das? Aus dieser Sicht sind die Serien, die keine sind, immer auch aus der Zeit gefallen. Die Fotos geben uns gewiss das Instrument an die Hand, um die wirklichen Belege unserer scheinbar langweiligen Existenz zu kontrollieren. Es müssen ja nicht immer die Stars sein, die bleiben.
Mehr Texte von Matthias Kampmann

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Peter Piller - Belegkontrolle
13.06 - 16.08.2015

Kunsthalle Nürnberg
90402 Nürnberg, Lorenzer Straße 32
Tel: +49 911 231-2853, Fax: +49 911 231-3721
https://www.kunstkulturquartier.de/kunsthalle/
Öffnungszeiten: Di - So 10.00 - 18.00, Mi 10.00 - 20.00


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