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Peter Weibel - Scanned World: Agent in eigener Sache

Als Motiv, Thema und Material diente die Library bereits in den 1990er-Jahren nicht nur Peter Weibel, sondern auch Künstlerkollegen wie Gustav Troger, Joseph Kosuth und Martin Kippenberger. Auch Heimo Zobernig, Joseph Zehrer und Tobias Rehberger setzten sich mit diesem komplexen Phänomen auseinander und fanden darin ihr Problem im sich expandierenden digitalen Zeitalter. Aktuell zeigt die Galerie Artelier Contemporary in ihrem 30. Jubiläumsjahr neben neueren Arbeiten auch zwei frühere Werke Peter Weibels und subsumiert diese unter dem Titel „Scanned World“. Darin gewinnen die raumbezogenen Arbeiten ihren Ort durch Selbstverortung in einem diskursiven Feld. Die Neukonstruktionen und Neuformationen scheinen gleichzeitig die sich im 20. Jahrhundert ereignenden Brüche in der Gattungsgeschichte der Skulptur sichtbar zu machen. Ein an der Wand befestigter Leuchtkasten („Die Symbol-Zeit ist abgelaufen“, 1996) zeigt in virtueller Form einer gescannten Computergrafik den zerlegten Uhrturm, das Wahrzeichen der Stadt, wie es über Graz zu schweben scheint und erinnert an die gleichnamige Ausstellung in den 1990er-Jahren. Eine real raumgreifende Arbeit („Scanned Library“, 1996) wurde ebenfalls vor beinahe zwei Jahrzehnten das erste Mal ausgestellt und nun wieder neu installiert. An genau dieselbe Idee wie damals knüpft Weibel an, wenn er „Platonische Körper“ (2015) mehrfach horizontal teilt und deren Fragmente neu schichtet, diese sich überlagern und keine einheitliche Form, vielmehr eine Zerstreuung darstellen. Das Ergebnis wurde mithilfe eines 3D-Druckers erzeugt, das Weibels Faszination und ständige künstlerische Auseinandersetzung mit neuesten Technologien beweist. Seine Suche nach neuen Mitteln des Ausdrucks unter Anwendung aktueller Methoden ist immer auch als ein Kommentar hinsichtlich gesellschaftlicher Veränderungsprozesse zu verstehen. Mit der skulpturalen Installation „Scanned Library“ wird auch ein Bildungs- und Wissensraum behandelt, welcher Teil eines öffentlichen Raums ist, aber nicht unbedingt ein physikalischer Raum sein muss. Weibel verwies bereits in den 1990er-Jahren darauf, dass Skulptur nicht als Objekt im Raum stattfinden muss, sondern sich im Verweis auf Signifikanten des Raumes erschöpfen kann, indem die Signifikanten des Wissensraumes unter historischen Voraussetzungen künstlerisch behandelt werden. Mit der Einführung der Echtzeit durch den Computer wurde das Ende der Symbolzeit eingeläutet. Unter dem Titel „Multiple Medien“ verfasste Weibel nach jahrelanger Zusammenarbeit mit der Galerie das Vorwort des Sammelbandes „Kunst ohne Unikat“ (herausgegeben von Ralph Schilcher im Verlag: Artelier Collection, Graz, 1998/2010), der die Produktions-, Publikations- und Präsentationstätigkeit der Galerie & Edition Artelier von ihren Anfängen 1985 nachzeichnet und indem er eine Unterscheidung zwischen Kunst als Einzelwerk und Kunst als multiplizierbares Werk trifft, worauf auch die aktuelle Ausstellung Bezug nimmt. Er verweist darin auf das Distinktionsmerkmal Produktion/Reproduktion, das auf eine Verwechslung der Begriffe Original und Unikat zurückgeht. Ein Kunstwerk kann durchaus kein Unikat sein, aber dennoch ein Original bleiben, während es umgekehrt ein Unikat und dennoch ein Falsifikat, eine Kopie und kein Original sein kann. Die „Scanned Library“ setzt das Buch als Beispiel dafür wieder in den Mittelpunkt und demonstriert, was eine Kunst ohne Unikat, multiplizierbare Kunst bedeutet. Bücher als Unikate hätten keinen Sinn, so Weibel. Diese werden produziert, um sie vervielfältigen zu können. Das Buch wird zum Modell der multiplen Kunst und stellt das erste multiple Medium dar. Scanned sind im Ausstellungsraum nicht nur die Bibliothek und die Computergrafik von einst, sondern auch der Spiegel („Scanned Mirror“, 2015), das Gemälde („Scanned Painting“, 2015), der Stuhl („Scanned Chair“, 2015) sowie verschiedene Objekte („Teller u. Messer“, „Oscar“, „Kleinsche Flasche 1 u. 2“, 2015) von heute. Die Deformation, die Verzerrung dient dabei als Methode. Mithilfe von Plexiglas, das stabilisierend und fixierend zwischen den zersägten Holzfragmenten eingelegt wurde, formieren sich die Arbeiten. Ein Ensemble aus sechs Objekten aus PLA-Kunststoff stellen die „Venus von Milo“, den „Denker“ von Auguste Rodin, „Einzigartige Formen der Kontinuität im Raum“ von Umberto Bocchioni, „Die endlose Säule“ von Constantin Brâncuşi, Marcel Duchamps „Fountain“ und „Das kleine Mädchen“ von Hermann Scherer dar. Etwas aus der Form geraten, rezipieren sie Klassiker der Kunstgeschichte und verdeutlichen gleichzeitig den kulturellen wie begriffsgeschichtlichen Wandel. Weiße 3D-Druckwerke aus PLA-Kunststoff ergänzen die Schau und rücken den Formcharakter ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Weitere Experimente mit dem Material zeigen fünf Objekte von Christian Lölkes, die sich ästhetisch in Weibels Welt integrieren. Die Auseinandersetzung mit dieser Thematik wurzelt bei Weibel im Fernsehbild, das aus einer dichten Folge von Punkten, so genannten Scan lines besteht, die (im allerdings kaum noch gebräuchlichen Röhrenmonitor) von einem Kathodenstrahl abgetastet werden. Aufgrund der Trägheit der Retina entsteht im Auge die Illusion eines statischen Bildes. Gelegentlich werden die Scan lines durch externe Einflüsse gestört und verschieben sich, wodurch ein verzerrtes Fernsehbild entsteht. Gegenstände sollten wie Bilder behandelt und in Scan lines zerlegt werden. Weibel zersägte bereits 1990 diverse Alltagsgegenstände in Streifen, entzog ihnen damit ihre ursprüngliche Funktion und platzierte zwischen den gestückelten Elementen der gleichmäßig zerteilten Objekte Plexiglas, wodurch sie wie ein berechenbares Bild beeinflussbar wurden. Mithilfe von Spiegelungen wird die Trennung zwischen dem Objekt und dem Raum aufgehoben. Dieser wird selbst Teil des Werks, wodurch die Form der Objekte dynamisiert und variabel wie Zeichen wird. Damit erkannte Weibel bereits damals das Scanning-Prinzip als Konstruktionsprinzip, das in der Folge die Technologie des 3D-Drucks bestimmte. Das Fertigungsprinzip blieb dasselbe. Agierend in einem „erweiterten Feld“ eines Skulpturbegriffs, erinnern die gezeigten Objekte an die Diskussion darüber, wie Skulptur zu bestimmen sei. Rodins Denker kann hierfür als Symbol gelten. Weibels Wahl dieses Motivs knüpft auch daran an, dass in den Debatten um 1980 bereits Rodin als Scharnierfigur zwischen Tradition und Moderne thematisiert wurde. Es handelte sich um die Verzeitlichung der Skulptur und um das Leerlaufen ihrer Memorialfunktion. Damals war der Skulpturbegriff bereits so gedehnt, dass er seine Bestimmungskraft einbüsste. Skulptur war keine universelle, sondern eine historisch determinierte Kategorie, deren innere Logik von der Denkmalsfunktion geprägt war. Bei Rodin manifestierte sich erstmals jene Ortslosigkeit, welche die modernistische skulpturale Praxis prägte. Und immer noch bestimmen Kunstproduktion und theoretische Reflexion das Diskursfeld. Die Variationen und Multiplizierbarkeit der „Scanned Sculptures“ (Ensemble, 2014) sind laut Weibel Ausdruck unseres digitalen Zeitalters, das durch die mediale Distribution von Daten geprägt ist, Skulpturen ihren auratischen Charakter gleich einem Kultobjekt verloren haben und jeder sich seine eigene Venus im 3D-Drucker herstellen kann. Als Daten sind die 3DScans im Netz verfügbar sowie der 3D-Drucker im Baukastensystem selbst zusammenstellbar, wodurch sich die absolute Demokratisierung des Kunstwerks vollzogen hat. Was Marcel Duchamps Readymades für die industrialisierte Moderne bedeuteten, machen die „Scanned Sculptures“ für das digitale Zeitalter deutlich.
Peter Weibel - Scanned World
16.05 - 31.08.2015

Artelier Contemporary
8020 Graz, Griesgasse 3 (Ecke Südtirolerplatz)
Tel: +43/316/834411, +43/664/22 12 518, Fax: +43/316/834411 22
Email: office@artelier-contemporary.at
http://www.artelier-contemporary.at/
Öffnungszeiten: Di - Fr 13-18 h


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