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Berliner Immobilienfestspiele

Das Gallery Weekend Berlin ist jedes Jahr aufs Neue eine beeindruckende Leistungsschau der hauptstädtischen Top-Galerien und derer, die sich dafür dafür halten. Auch dieses Mal ballen sich die sehenswerten Ausstellungen, und einige sind sogar spektakulär. Die heimliche Hauptrolle spielt dieses Jahr jedoch – eher unbeabsichtigt von den Veranstaltern, aber nicht zufällig – die Architektur. Allen voran die Eröffnungsschau von Johann König in St. Agnes. Drei Jahre lang wurde die brutalistische Kirche umgebaut. Jetzt prangen an den Betonwänden Katharina Grosses bunte Monumentalformate (16 bis 32 Qudratmeter, 120.000 bis 200.000 Euro) und beherrschen den Raum, obwohl sie von den Proportionen her eigentlich fast verloren wirken müssten. Diesen Raum zu bespielen dürfte für jeden Künstler eine Herausforderung sein. Die Galerie Żak I Branicka ist ebenfalls in ein Gotteshaus gezogen, jedoch nur temporär. Da die Galerieräume für die 83 Bambini (je 37.500 Euro) und mehrere Dutzend Backs (3er-Sets zu 130.000 Euro) von Magdalena Abakanowicz nicht ausreichen, wird dort eine Videoinstallation von Agnieszka Polska gezeigt, während die Skulpturen die Elisabethkirche in Mitte mit unheimlichem Leben erfüllen. Direkt um die Ecke nutzen KOW ihre ohnehin beeindruckende Galerieräume für eine in extreme Musealität überhöhte Inszenierung der Schokoladenskulpturen von Renzo Martens. Im Keller nötigt eine immersive Videoinstallation von Mario Pfeiffer zum Verweilen (Noch vor der Eröffnung waren bereits eine Edition für 18.000 Euro verkauft und drei weitere reserviert). Bei Blain I Southern hat der 89-jährige Francois Morellet zu einer monumentalen Installation seiner rhythmischen Malerei ausgeholt, mit der er die riesigen Längswände in ihrer gesamten Fläche füllt. Die immer noch großformatigen Gemälde und Neon-Objekte im oberen Geschoss müssen dagegen verblassen und lassen durchaus Zweifel am Preisniveau bis 500.000 Euro kommen. Ein deutlich besserer Deal sind da die nachgerade winzigen und ungeheuer charmanten Zeichnungen aus den 50er Jahren für 20.000 Euro. Die extrem uncharmante Architektur der Galerie Guido Baudach wirkt wie gemacht für die Installation hochpolitische und irgendwie deprimierende Multimedia-Installation von Erik van Lieshout. Und noch eine Kirche: Unter dem etwas gewollt wirkenden Motto „I AMsterdam YOU Berlin“ zeigen je sieben Galerien aus beiden Städten Kunst in der St. Johannes Evangelist-Kirche in der Auguststraße. Beteiligt ist unter anderem Kristian Jarmuschek, der auch federführend ist bei einer Art Gallery Weekend im Kleinformat. 26 Galerien haben sich zu den xpositions zusammengefunden, mit gemeinsamen Ausstellungseröffnungen und einem Shuttle. Dabei ist nicht nur die zweite Garde, sondern durchaus renommierte Branchenvertreter wie Anna Jill Lüpertz und Martin Mertens als junge oder Zellermayer als etablierte Galerien. Durchaus interessant ist die schlecht respektive praktisch gar nicht kommunizierte Gemeinschaftsausstellung aller Galerien. In einem alten Fabrikgebäude am Arkonaplatz, dem letzten Eckchen Prenzlauer Berg, das noch nicht vollständig verbiedermeiert ist, wird ein echtes Experiment gewagt: Die gerade in den beteiligten Galerien ausstellenden Künstler dürften jeweils einen – zumeist sehr jungen – Kollegen einladen, der noch nicht vertreten wird. So weit, so lobenswert. Verlässt man jedoch die Ausstellung im ersten Stock und geht um die Ecke, kann man im Erdgeschoss gleich einer Verkaufspräsentation von Ziegert beiwohnen, dem bekanntesten Immobilienaufwerter der Stadt. Noch augenfälliger wird die Indienstnahme der Kunst durch die Immobilienwirtschaft an zentraler gelegenen Stellen. Die Firma mit dem anrüchigen Namen COPRO-Gruppe nutzte die Gunst der Stunde, um „Spektakuläre Kunst auf 162 Quadratmetern“ zu präsentieren, ein bemaltes und besprühtes Riesenbanner, das jetzt „das markante Büro- und Geschäftshaus in der Hauptstraße 117“ ziert und afrikanische Lebensfreude nach Schöneberg bringen soll. Die Ekelschraube lässt sich aber durchaus noch ein bisschen weiter anziehen. In der Französischen Straße wird gerade das „Palais Varnhagen“ vermarktet. Der Entwickler möchte dabei an die Tradition des großbürgerlichen Salons anknüpfen oder so. Zur Pressevorstellung des multimedialen Kunstprojekts, das passend zum Gallery Weekend an die die Baugrube umgebenden Wände projiziert wird, reist der Bauherr standesgemäß im Bentley an. Und die Varnhagen hat irgendwann mal schräg gegenüber gewohnt. Eigentlich hätte man das Gebäude auch „Palais Liebermann“ nennen können. Der hat schließlich auch in Spuckweite gewohnt, und von ihm gibt es ein passendes Zitat. -- www.xpositions.berlin www.gallery-weekend-berlin.de www.iamsterdamyouberlin.com
Mehr Texte von Stefan Kobel

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