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Kader Attia - Complementary Conversations: Erosion der Moderne

Erschreckend erstaunlich wie man hier über zerquetschte Patronenhülsen von Bodenraketen aus Syrien stolpern kann. Obwohl unschädlich gemacht, bergen sie etwas von der realen Gewalt ihres ehemals vernichtenden Potentials. Natürlich bestätigen diese Relikte der nicht endenden Kriegshandlungen in den nordarabischen Ländern Kader Attias Bereitschaft zu starken Zeichensetzungen. Trotzdem ist hier nichts spekulativ, keine der Setzungen wirkt zu plakativ. Vielmehr entrollt der algerisch-französische Künstler eines seiner zentralen Themen. In verschiedenen Medien ist es eine Auseinandersetzung mit dem Doppelgesicht der Moderne, die auf der Gegenseite ihrer Ideologie der Erneuerung von Blut durchtränkte Spuren hinterließ. Damit stellt Attia grundsätzlich Fragen nach der Gegenwart von Geschichte. In seinen durch Andeutungen ästhetisierten Collagen, wird dies zu einer bruchstückhaften Koexistenz von Architekturschnipseln, Textzitaten, eingeklebten Abbildungen von Skulpturen oder – zumeist – schwarzer Passanten, die wie Denkende oder Schreitende wirken. Nicht irgendeine Architektur interessiert ihn, sondern mit Ornamenten versehene nordafrikanische Bauten und der anonyme Funktionalismus. Aber auch totalitäre Lichtgestalten wie LeCorbusier, der in seinem Größenwahn eine Faszination für das Nazi-Regime an den Tag legte und mit dem Vichy-Regime Henri Pétains kollaboriert hat, verfolgt Attia in seinen Recherchen. Abstrakte Narben der Geschichte Nach und nach wird evident, warum sich auf lediglich aus roh belassener, bräunlich grauer Leinwand bestehenden Bildobjekten feine Erhebungen abzeichnen, die wie Narben wirken. Es könnten Spuren von Wunden, aber vielleicht auch der Heilung sein. Man kann sie entlang der Tangente jener Forschungen lesen, die Kader Attia zu einem umfassenden Projekt entwickelt hat. Vielen hat sich seine documenta13 Installation ins Bewusstsein eingegraben, wo er beschädigte afrikanische Objekte ausgestellt hat, die deutlich erkennbar mit alten – aus Europa eingeführten – Knöpfen oder Spiegelscherben repariert worden sind. Dazu hat Attia damals zeitgenössische afrikanische Skulpturen gezeigt, die nach Fotografien von plastischen Operationen an versehrten Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg gefertigt worden sind und fast genauso aussehen. Ein bizarres Archiv der Verletzungen. Immer wieder, so auch hier, verfolgt Kader Attia die Idee des Reparierens. Er sieht in ihr ein Moment kultureller Distinktion zwischen vielen Bereichen des afrikanischen Alltags und den von Erneuerung und Oberflächenstyling überformten europäischen Zentren. Dafür steht die Fotoarbeit in einem Leuchtkasten »We Have Never Been Modern (the repair of the plate)« (2014). Ein Highlight dieser Ausstellung. Sie zeigt zwei ¬Frauen nordafrikanischer Herkunft bei der Wiederherstellung einer Servierplatte aus Ton in einem Hinterhof oder einer windgeschützte Ecke auf einem Dach. Sichtlich ist das Environment aus einer Vielzahl improvisierter Elemente zusammen gestückelt, die für verschiedene Produktionsformen, für translokale Ökonomien und andere Einschreibungen stehen. Reparieren als kulturelles Unterscheidungsmerkmal Sein Leitmotiv des Reparierens setzt Kader Attia fort, wenn er beschädigte Teile von Motorrollern ausstellt, die an schadhaften oder deformierten Stellen wieder aufgemöbelt wurden. Die Spuren ihrer Abnützung und somit auch der individuellen Vergangenheit bleiben sichtbar. Keineswegs mündet dies in einer Phänomenologie der Oberflächen. Kader Attia, der sich im Zuge seines Philosophiestudiums an den strukturalistischen Analysen biopolitischer Macht eines Michel Foucault abarbeitete und mit den Überlegungen zu einer politischen Ästhetik von Jaques Ranciere auseinandersetzte, fragt metaphorisch nach der Präsenz von Geschichte und nach den Folgen von deren Verlust. Ein Video zeigt wie Bilder des Kriegs, wie Aufnahmen von Siedlungslandschaften in Israel, zerbombte Wohnhäuser im nahen Osten und Szenarien eines Kriegscomputerspiels einander übergangslos ablösen. An einer zentralen Stelle des Films spielen Jugendliche vor der Ruine eines römischen Tores Fußball. Es ist dies der metaphorische Kulminationspunkt des Verlusts von Referenz; in der durchaus berechtigten Leichtigkeit des Spiels. Archäologie der Widersprüche der Moderne Was allerdings passieren kann, wenn fehlende Rückbezüge an das Reale der Vergangenheit abgelöst werden durch rassistische und antizivilgesellschaftlich aufgeladene Ideologeme, das deutet Kader Attia durch wie beiläufig daliegende Plakate an: Zeitungsmeldungen aus Österreich über Dschihad-begeisterte Jugendliche. Ein notwendiger Verweis, der sich einfach aufdrängt; aber auch nicht mehr, denn die großartige Ausstellung bietet Einblick in ein breit angelegtes Projekt, dessen breiter Bogen seinen Anfang bereits im 19. Jahrhundert ansetzt. Mit welcher Intensität Kader Attia seine Archäologie der Verschränkungen zwischen afrikanischer Kultur und westlicher Moderne betreibt, belegen seine Ausstellungen der letzten Jahre in signifikanten Institutionen. Hervorzuheben hier ist jedoch, wie geschickt er in den Rahmen einer Galerie ein aussagekräftiges und zugespitztes Konzentrat seiner aktuellen Arbeit eingebracht hat. In mehreren formalen Umsetzungen öffnen sich Felder mit Andeutungen, wohin diese spannende Form künstlerischer Forschung weiter führen könnte. Jetzt schon lassen künstlerische Positionen wie diese Museen angeblich Moderner Kunst, die sich gerade Mal auf Dan Flavin oder wieder mal die Pop Art kaprizieren, steinalt aussehen.
Mehr Texte von Roland Schöny

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Kader Attia - Complementary Conversations
18.04 - 23.05.2015

Galerie Krinzinger
1010 Wien, Seilerstätte 16
Tel: +43 1 513 30 06, Fax: +43 1 513 30 06 33
Email: krinzinger@galerie-krinzinger.at
http://www.galerie-krinzinger.at
Öffnungszeiten: Di-Fr 12-18, Sa 11-14 h


Ihre Meinung

1 Posting in diesem Forum
unbedingt sehenswert
bitteichweisswas | 05.05.2015 07:48 | antworten
... eine der wenigen sehenswerten Ausstellungen zur Zeit in Wien ...

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