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Hassan Khan - Flow My Tears, the Policeman Said: Rhythmische Zeitverluste

Franz Waldhäusl sitzt auf einem Stuhl in einem seltsamen Raum. Der ist vollständig weiß, hat auf den ersten Blick weder ein Fenster noch eine Türe. Der Mann, vielleicht schon Pensionär, ist sommerlich gekleidet, und man kann sich keinen Reim darauf machen, warum er dort sitzt und sich von der Kamera in unregelmäßigen Radien umkreisen und filmen lässt. Er ist aber nicht der einzige. Schaut man dieser Rückprojektion, die frei im Raum des MMK 3, gegenüber vom Haupthaus des Museums für Moderne Kunst, Frankfurt, an zwei langen, waagrechten, quer durch den Raum gespannten Seilen hängt, ein wenig länger zu, tauschen eine Reihe von Frauen und Männern den Platz in diesem Gehäuse, dazwischen geschnitten ein schwarzer Bildschirm jeweils mit dem Namen der Gefilmten. Diese Arbeit ist Bestandteil der Installation "Flow My Tears, the Policeman said" von Hassan Khan, die der 1975 geborene Künstler, der in Kairo lebt und arbeitet, in Gedenken an einen Roman von Philip K. Dick eingerichtet hat. Der Ägypter, der derzeit an der Städelschule eine Gastprofessur inne hat, installierte dort insgesamt fünf neue Arbeiten. Hassan Khan wurde 2012 mit seiner Teilnahme an der Documenta 13 im deutschsprachigen Raum bekannt. Dem Wiener Publikum ist er mit seiner Personale "The Unrest of Forms" (2013) in der Secession in Erinnerung. Für Frankfurt las er seinen Lieblingsroman des amerikanischen Science-Fiction-Autors wieder und gab der Ausstellung den Titel desselben. Der ist bereits außen im Schaufenster zu lesen. Unter den Schriftzügen befinden sich zwei Porträts, die in ihrer Buntheit an Comic-Gesichter erinnern. Sie zerlegen das Gesicht der beiden dargestellten älteren Männer in farbige Flächen. Der linke scheint wach zu sein, der rechte hat die Augen geschlossen. Die Gesichter sind voneinander abgekehrt. Die Folie markiert überdeutlich in Form des Antlitzes die Grenze zwischen Innen und Außen und hebt sie ins Bewusstsein. Bereits beim Betreten der Räume ist das rhythmische Klatschen von mehreren Menschen nicht zu überhören. Es kommt aus vier Lautsprechern, die auf Ohrenhöhe den Raum beschallen. "Live Ammunition!" gibt dem Besuch den Takt vor. Die Arbeit ist in allen Räumen deutlich zu hören, und es ist faszinierend, wenn man bemerkt, dass die stets rotierende Kamera in "Studies for a Structuralist Film no. 2" (2013) damit zu interagieren scheint. Dieser Rhythmus baut die Spannung auf, die aus der Unklarheit darüber resultiert, was es bedeutet, wenn die gefilmte Person gelegentlich in die Kamera schaut und so einen Klimax evoziert, der zwar eigentlich keiner ist, aber dennoch als solcher empfunden wird, weil der Betrachter sich zwangsläufig und immer noch mit einer solchen, subjektiven Perspektive identifiziert. Doch bevor man zur Videoarbeit gelangt, geht man durch eine "Farbendusche". Vier LED-Theaterleuchten changieren von Grün über Türkis zu Blau und Violett und Rot. Das geht recht langsam vonstatten. Als Passage gedacht, hängen die bunten Lichtgeber sinnigerweise im Treppenaufgang zum Hauptraum des MMK3. Dort runden neben dem Film zwei weitere Arbeiten die Schau ab. Ein dreiteiliger Paravent mit je einem roten, grünen und grauen Segment auf denen mehrdeutige Lineamente wie Zeichen angebracht sind, besitzen reflektierende Oberflächen, sind jedoch nicht ganz undurchsichtig. "Ich liebe die alltägliche Magie von Oberflächen", beschreibt Khan, "das Banale, dennoch Erhabene des Wiedererkennens. Der übernatürliche Schimmer und die Kraft der eingebetteten Embleme." Schöne Oberflächen bietet auch die letzte Arbeit der Ausstellung: "Abstract Music" (2015). Hassan Khan stapelte verschieden große Rundformen aus durchsichtigem oder milchigem Glas zu gleichmäßigen "Türmen" übereinander. Jeder ist auf einen hölzernen Sockel postiert. Diese "Landschaft" platzierte er auf eine Holzplatte, so dass sich der Eindruck eines Raums im Raum ergibt. Es fällt schwer, allein aus der Anschauung Bezüge zwischen den Werken herzustellen, doch malt sich ein Bild im Lauf der Zeit aus der Verbindung von stets wiederkehrenden Momenten. Der Rhythmus klatschender Hände gibt die Einheiten vor, die man geradezu körperlich erfühlt. Diese Zerteilung der akustischen Zeit findet seine Entsprechung in der Zergliederung der gläsernen "Türme", die in gewisser Weise Constantin Brancusis "Unendliche Säule" von 1916 konterkarieren. Und auch die Linearität der Kamerafahrt und ihre jeweilige Unterteilung und Strukturierung des temporalen Kontinuums spielt diese Struktur durch, doch es ist ein stetes Hin und her zwischen der Ferne geometrischer Formen, der geradezu körperlich aufdringlichen Rhythmisierung durchs Klatschen. Diese Deutung wäre jedoch zu eindimensional, nur ist sie naheliegend und erschließt sich leicht. Mitzudenken sind zudem die divergenten Materialien, die medialen Unterschiede, und dann ist da ja noch die semantische Ebene der Bezüge zur Science Fiction (dt. "Eine andere Welt"). Der Text handelt von einem Fersehstar namens Jason Taverner, der nach einem Mordanschlag gegen seinen Willen der Droge KR3 ausgesetzt wird, die ihn Glauben macht, er sei in einer vollständigen anderen Welt. Der Mann ist ein TV-Star, im "neuen" Leben ist er ein Nichts. Den Roman rhythmisieren Zitate aus dem Renaissance-Hit "Flow My Tears" von John Dowland (1562-1626). Hassan Khan, der Musiker, Autor und bildende Künstler, schmiegt seine Arbeiten kongenial in diesen Raum und schafft durch das Thematisieren von Zeit geradezu eine Aufhebung derselben. Außerdem lässt getreu der Dystopie von Dick die Perspektiven rotieren.
Mehr Texte von Matthias Kampmann

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Hassan Khan - Flow My Tears, the Policeman Said
30.01 - 12.04.2015

MMK Zollamt
60311 Frankfurt, Zollamt, Domstraße 3
Tel: +49 - 69 - 212 - 304 47, Fax: +49 - 69 - 212 - 378 82
Email: mmk@stadt-frankfurt.de
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Öffnungszeiten: Di 10-17, Mi 10-20, Do-So 10-17 h


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