Werbung
,

David Adjaye - Form, Gewicht, Material : In öffentlichen Wohnzimmern

Das "Pizza-Inn" bewirbt sich in Accra, der Hauptstadt von Ghana, einer Metropole mit über zwei Millionen Einwohnern an der Fassade eines schnöden, nichtssagenden Gebäudes. Das Foto, dieser schlichte Blick über eine Straße, ist so unprätentiös wie zahlreiche anderer Bilder aus afrikanischen Städten, die hier auf sechs alten 4.3-Kathodenstrahlmonitoren in Diashows ablaufen. Schon wandern die Klischees ins Bewusstsein. Natürlich stapeln sich die klassischen Früchtepyramiden an der Straße, aber auch die Formen einer angewandten Moderne mit Terrassenbauten, etwa in Dakar, die mit Pflanzen überwuchert sind. Man muss schon länger dabei bleiben, um diese Enzyklopädie als Folge von Differenzen wahrzunehmen. Das Ensemble im letzten Raum der Retrospektive "Form, Gewicht, Material" (bis 31.05.) des Werks von David Adjaye im Münchner Haus der Kunst erinnert an Aby Warburgs Bildarchive. Der 1966 in Daressalam, Tansania, als Sohn ghanaischer Diplomaten geborene Architekt, zeigt sie in einer Ausstellung die sich seinem bisherigen Lebenswerk widmet. Ganz schön früh, mag man meinen. Adjaye ist keine 50 Jahre alt. Eine derartig opulente Werkschau wirft Licht auf Begabung wie Stellenwert des Baumeisters. "Üblicherweise fängt in diesem Lebensabschnitt erst das Werk eines Architekten, losgelöst vom Büro des Ziehvaters erst an", meint Okwui Enwezor, Direktor des Münchner HdK, der zusammen mit Zoë Ryan vom Chicago Art Institute und Anna Schneider diesen Überblick über das Schaffen Adjayes kuratiert hat. Dass er so jung schon so bedeutende Projekte realisiert hat, liegt sicher auch an der Universalität seiner Herangehensweise. Mit Blick etwa auf Urbanität wird seine Meinung geschätzt. Das Projekt widmet sich daher auch größeren Stadtplanungen. "Masterpläne" heißt diese Abteilung. Insgesamt in drei größere Teilbereiche separiert, entführt uns der Baumeister in seine Begrifflichkeit vom humanen Bauen. Die Schau beginnt mit dem Raum als Lebensraum. Und das kann man wörtlich nehmen, denn hier werden Wohnhäuser aus privatem Auftrag, von Künstlerfreunden wie Chris Ofili, präsentiert. Gern hinterfragt Adjaye Konventionen. Zur Straße zeigt das "Elektra House" in der Urfassung ein übliche Fassade mit Fenstern. "Das war energetisch Blödsinn, da das Licht überwiegend von gegenüber kam", beschreibt der Architekt. "Wir haben das ganze umgekehrt, und nun ist das Haus sehr hell und kühlt nicht aus", so Adjaye weiter. Mittlerweile betreibt er Büros in London, New York, Berlin und Accra. Auf die Insel kam er 1979 und lernte an der Southbank University und am Royal College of Art in London. Seine Firma gründet er 2000. Heute beschäftigt er über 50 Mitarbeiter. Kennzeichen seiner Arbeit: Er lässt sich auf keinen Stil festlegen. Er zitiert verhalten und bezieht sich auf Größen wie Le Corbusier. Das spiegelt sich in der Ausstellung, die eine ganze Reihe von Modellen zeigt. Weiß sind all diejenigen, welche private Räume "erzeugen". Graue Wände signalisieren den zweiten großen Komplex der Schau, der sich Orten widmet, an denen Wissen vermittelt wird. "Für mich sind Bibliotheken öffentliche Wohnzimmer und nicht nur Speicher, denen Bücher abgelagert werden", beschreibt Adjaye seinen Ansatz. Das führt etwa zum "Idea Store Whitechapel" (2005), eins von fünf öffentlichen Gebäuden aus seiner Feder in London. Hier versuchte er, den Zweck des Hauses über die Silhouette zu promovieren. Die Ausstellung zeigt, sicher ein Highlight, einen Pavillon aus dunklem Holz von 2007. "Ich wollte Schatten erschaffen", schildert der Architekt. Man habe hier genau die Hälfte von allem: "Hier gibt es 50 Prozent Licht und 50 Prozent Schatten." Dieser Raum ist begehbar, und der Besucher bekommt einen vagen Eindruck von der Art und Weise, wie sich in dieser Architektur die Vorstellung von Umwelt spiegelt. Das In- und Miteinander aus dem Sozialen des Menschen visualisiert sich zur Metapher im Stadtraum und wird Funktion in den Gebäuden. Manchmal jedoch wirkt diese Ikonografie ein wenig schräg. Wenn der Architekt darüber erzählt, dass sich im indischen "Vanasi Silk Weaving Facility"-Projekt zukünftig Menschen treffen sollen, um vom Aussterben bedrohte Gewerke zu reanimieren. Und wenn dann die Außenhaut der Cella-gleichen Architektur, die von einer Art Ringhalle umschlossen wird, so durchlöchert ist wie die Punchcard, die das Programm für ein Muster enthält, das per Jacquard-Webstuhl zum Textil wird, kommt einem das beinahe zynisch vor. Dennoch, das Haus der Kunst macht uns mit dem Werk eines vielseitigen und menschlichen Architekten auf vehemente wie neugierig machende Weise vertraut.
Mehr Texte von Matthias Kampmann

Werbung
Werbung
Werbung

Gratis aber wertvoll!
Ihnen ist eine unabhängige, engagierte Kunstkritik etwas wert? Dann unterstützen Sie das artmagazine mit einem Betrag Ihrer Wahl. Egal ob einmalig oder regelmäßig, Ihren Beitrag verwenden wir zum Ausbau der Redaktion, um noch umfangreicher über Ausstellungen und die Kunstszene zu berichten.
Kunst braucht Kritik!
Ja ich will

Werbung
Werbung
Werbung
Werbung

David Adjaye - Form, Gewicht, Material
30.01 - 31.05.2015

Haus der Kunst München
80538 München, Prinzregentenstrasse 1
Tel: +49 (0)89 21127-113, Fax: +49 (0)89 21127-157
Email: mail@hausderkunst.de
http://www.hausderkunst.de/
Öffnungszeiten: Mo – So 10.00 – 20.00, Do 10.00 – 22.00


Ihre Meinung

Noch kein Posting in diesem Forum

Das artmagazine bietet allen LeserInnen die Möglichkeit, ihre Meinung zu Artikeln, Ausstellungen und Themen abzugeben. Das artmagazine übernimmt keine Verantwortung für den Inhalt der abgegebenen Meinungen, behält sich aber vor, Beiträge die gegen geltendes Recht verstoßen oder grob unsachlich oder moralisch bedenklich sind, nach eigenem Ermessen zu löschen.

© 2000 - 2024 artmagazine Kunst-Informationsgesellschaft m.b.H.

Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Gefördert durch: